Alles Verschwörung oder was?

Streit um Syrien-Veranstaltung des Darmstädter Friedensbündnisses

Das Darmstädter Friedensbündnis lud für den 23.Februar zu einer Veranstaltung mit Karin Leukefeld ein. Karin Leukefeld ist eine in Syrien offiziell akkreditierte Journalistin. Sie berichtet seit mehr als fünfzehn Jahren aus der Nahost-Region und kann als profunde Kennerin des Syrien-Konflikts gelten.

Schon im Vorfeld gab es massive Kritik an dieser Veranstaltung: Leukefeld folge antiwestlichen Reflexen, sei eine Fürsprecherin des Assad-Regimes und außerdem eine „Verschwörungstheoretikerin“. Es wurde versucht, die unterstützenden Gruppen zu einer Absage zu bewegen, was in zwei Fällen auch gelang.

Besonderes Engagement zeigte hierbei Philip Krämer, der sich in Darmstadt wohl als eine Art Gesinnungspolizei versteht. Er ist Kulturreferent im AStA der TUD und kandidierte bei den Kommunalwahlen 2016 auf der Liste der GRÜNEN für die Stadtverordnetenversammlung. Er entstammt dem Lager der sog. „Antideutschen“ (s:  https://de.wikipedia.org/wiki/Antideutsche). Trotz dieses Etiketts ist von Philip Krämer allerdings keinerlei Kritik an der deutschen Außenpolitik oder an den innenpolitischen Verhältnissen zu vernehmen. Seine Positionen sind vor allem proisraelisch und proamerikanisch. So wird er immer dann aktiv, wenn in einer Veranstaltung die Politik Israels oder die amerikanische Außenpolitik kritisiert zu werden droht. Er hat einen eigenen Blog (akideologiekritik.blogsport.de) in dem er unregelmäßig seine Weltsicht zum Besten gibt.[1] Er versteht sich wahrscheinlich als „links“, hält sich mit der Kritik an den bestehenden Verhältnissen jedoch auffällig zurück. Ziel seiner Angriffe sind vielmehr die angeblichen Fehler von Menschen und Gruppen, die sich kritisch mit der herrschenden Politik auseinandersetzen. So gerät auch das „Darmstädter Friedensbündnis“ ins Visier, weil es Karin Leukefeld eingeladen hat. Als „Verschwörungstheoretikerin phantasiert sie vom IS als einer vom Mossad gegründeten und finanzierten Bande und spricht im Falle von Syrien von einem reinen Stellvertreterkrieg.“ Das behauptet er im Artikel „Damaskus und Darmstadt“. Wie in einer wissenschaftlichen Arbeit gibt es auch Fußnoten, die seine Einschätzung belegen sollen. In diesem Fall ein Artikel aus der Zeitung „junge welt“ vom 25.7.2014. Doch wer sich die Mühe macht, diese Quelle zu lesen, wird feststellen, dass Karin Leukefelds Aussage nicht der Phantasie entsprungen ist. Sie verweist u.a. auf Dokumente des „US-Geheimdienstes NSA, die Edward Snowden öffentlich gemacht hat“ nach denen der ‚Islamische Staat‘ ursprünglich von Geheimdienstagenten der USA, Großbritanniens und Israels gegründet worden sei“.

Ist das schon Verschwörungstheorie? Ist es nicht die Aufgabe der Geheimdienste aller Staaten, die in der internationalen Politik mitmischen wollen, Strategien zu entwerfen, wie sie generische Regierungen schwächen oder auch stürzen können? Der CIA hat dies in der Vergangenheit in Lateinamerika, aber auch 1967 beim Militärputsch in Griechenland und in vielen anderen Fällen praktiziert. Auch in der Vorbereitung des Irakkrieges 2004 haben amerikanische Geheimdienste an der Legende von den irakischen Chemiewaffen mitgewirkt. Syrien zählte bei George W. Bush zu den „Schurkenstaaten“ und für Israel gilt Syrien neben dem Iran als der Hauptfeind. In Afghanistan haben die USA schon in den 1980er Jahren gezeigt, dass sie auch bereit sind, islamische Fundamentalisten zu unterstützen, wenn es ihnen von Nutzen scheint: Sie unterstützen die Taliban gegen die Rote Armee der Sowjetunion mit Waffen und auf politischer Ebene und trugen so zu deren Erstarken bei.

Das wären eigentlich Gründe genug, sich die Hinweise von Karin Leukefeld genauer anzusehen und auf ihre Stichhaltigkeit zu prüfen. Warum sollten gerade im Falle Syriens Geheimdienste nicht aktiv werden? Solche Überlegungen kommen  für Philip Krämer aber nicht in Frage: Seine proamerikanischen Reflexe lassen es nicht zu: Es darf nicht sein, was nicht sein kann. Ohne Reflektion wird „Verschwörungstheorie“ gerufen und damit ist für ihn der Fall erledigt.

Natürlich kann eine mögliche Geburtshelferschaft westlicher Geheimdienste nicht den Erfolg des IS erklären, die Fähigkeit große Teile des Irak oder Syriens unter seine Kontrolle zu bekommen. Dazu bedarf es auch der Bereitschaft eines Teils der Bevölkerung, mit dem IS zusammenzuarbeiten; so z.B. Sunniten im Irak, die sich durch die Politik der schiitischen Regierung benachteiligt sehen. Für Syrien belässt es Karin Leukefeld keineswegs bei den oben genannten Hinweisen. In ihrem Buch „Flächenbrand“ schildert sie ausführlich die Ursachen und die Entwicklung des Konflikts innerhalb Syriens. So beschreibt sie das von der syrischen Regierung nie überwundene Stadt-Land-Gefälle. Von den seit der Unabhängigkeit angeschobenen Modernisierungsprogrammen habe im Wesentlichen die städtische Oberschicht profitiert. Der Abbau von Subventionen im Agrarbereich sowie mehrere Dürrekatastrophen hätten zur massenhaften Abwanderung von Dorfbewohnern in die Städte geführt, wo diese dann aber oft keine Arbeit fanden. Neoliberale Reformen sowie wirtschaftliche Kooperation mit der benachbarten Türkei ließen den kleingewerblichen Sektor der Volkswirtschaft auch noch drastisch schrumpfen. So konnte aus einem lokalen Konflikt eine Massenbewegung werden, die vor allem die Jugendlichen in den Vorstädten und den vernachlässigten Randgebieten erfasste. Das ist der lokale Ausgangspunkt des Konflikts. Karin Leukefeld sieht den Krieg um Syrien also durchaus nicht nur als „Stellvertreterkrieg“, wie es Philip Krämer behauptet.

Karin Leukefeld beschreibt aber auch, wie sich sehr schnell benachbarte Staaten, vor allem Saudi-Arabien und die Türkei, einmischten und die Unruhen für ihre Interessen zu nutzen versuchten. Sie unterstützen ihnen genehme, sogenannte „gemäßigte“, bewaffnete Oppositionskräfte materiell und politisch. Auch die Duldung und zumindest passive Unterstützung des IS und der Al-Nusra-Front, dem syrischen AL-Kaida-Ableger, gehörte zu ihrem Konzept. Sie forderten den Sturz des Assad-Regimes als Voraussetzung für Verhandlungen. Da dieser aber immer noch von einem nicht unerheblichen Teil der Bevölkerung gestützt wurde, bedeutete diese Maximalposition eine erhebliche Eskalation des Konflikts. Das Eingreifen der westlichen Staaten auch durch Embargomaßnahmen folgte dieser Linie ihrer regionalen Verbündeten. Mittlerweile mussten sie jedoch erkennen, dass die Grenzen zwischen den „gemäßigten“ Rebellen und den fundamentalistischen Kräften fließend sind. Viele von den westlichen Staaten ausgerüstete Rebellen wechselten mit ihren Waffen zum IS oder der Al-Nusra-Front. Die USA haben die militärische Unterstützung dieser Oppositionskräfte deshalb weitgehend eingestellt. Übrig bleibt die Bombardierung der vom IS kontrollierten Gebiete ohne weitere politische Perspektiven. Schließlich folgte noch das Eingreifen des Iran und des russischen Militärs in den Bürgerkrieg, wodurch er tatsächlich zu einem Stellvertreterkrieg um die Vorherrschaft in der Region wurde.

Den Einschätzungen Karin Leukefelds zur syrischen Regierung unter Baschar al-Assad sind sehr viel differenzierter als es der Vorwurf einer „unreflektierten Assad-Position“ vermuten lässt. Gerade weil sich ihr Standpunkt nicht mit dem Mainstream deckt, halten wir es für wichtig die Position Karin Leukefelds zu diskutieren. Die Friedensbewegung ist heute nicht stark genug, um entscheidend in das Geschehen eingreifen zu können. Doch halten wir es für wichtig, über die Verhältnisse in Syrien zu informieren und auch die Rolle Deutschlands und seiner Verbündeten nicht auszuklammern. Eine unvoreingenommene und solidarische Diskussion hierzu wäre fruchtbarer als hysterische Diskussionsverbote.

[1] In seinem Blog wird auch ein anonymes Flugblatt veröffentlicht mit einer langen Reihe von unwahren und verzerrten Informationen über die Veranstaltung selbst. Diese Tatsachenverdrehungen werden wohl auch der Grund sein, weshalb niemand hierfür die Verantwortung übernehmen will. Wir werden deshalb nicht näher darauf eingehen.

Darmstädter Friedensbündnis
09.03.2016
Schlagwörter: