Postkolonialismus und Dekolonialismus sind derzeit große Themen. War ab den 1980er Jahren die Rede vom Postkolonialismus hegemonial, so wird seit den 2010er Jahren vermehrt von Dekolonialismus gesprochen. Dabei sind die Unterschiede zwischen beiden Begriffen nicht immer so klar. Grob gesagt geht es beim Postkolonialismus um die Problematisierung von kolonialen Machtstrukturen und die (Dekonstruktion) kultureller Identitäten in einem universitären Kontext. Demgegenüber gibt sich der Dekolonialismus antiakademisch und soziale Bewegungen jenseits der Universität rücken in den Vordergrund, freilich selbst mit akademische Begründungen. Dabei bleibt eine Kritik der Subalternen meist ausgespart. Neil Larsen schreibt dementsprechend: „Das Postkoloniale eignet sich offensichtlich nicht annähernd so gut für … Sloganbildung“. Er übertitelt seinen Text „Der reaktionäre Jargon der Dekolonialität“ vor dem Hintergrund von Adornos Kritik des „Jargons der Eigentlichkeit“ (The Jargon of Decoloniality, Jacobin (englisch) v. 29.12. 2023).
Im diesjährigen Exit-Seminar geht es vor allem um die inhaltliche Auseinandersetzung mit postkolonialen und dekolonialen Theorien vor dem Hintergrund der heutigen weltgesellschaftlichen Krise. Dabei soll am Ende des Seminars vor dem Hintergrund der objektiven Krisenentwicklung der Unterschied eines neues Krisenimperialismus heute zum vergangenen „klassischen“ Imperialismus deutlich gemacht werden – den postkoloniale und dekoloniale Perspektiven noch gar nicht richtig auf dem Schirm haben. Ihnen fehlt es an einem Begriff der (welt-)gesellschaftlichen Totalität, der auch einer ideologischen und lebensweltlichen Perspektive Raum zu geben hätte und nicht nur der politökonomischen, um die es ihnen ja insbesondere mit dekolonialen Ansätzen gerade geht. Aufzunehmen wären nicht zuletzt wert-abspaltungskritische Ansätze, jenseits von Essentialismen, allerdings im Zusammenhang einer nun eben fragmentierten Totalitätsperspektive in ihrer Inhaltlichkeit und nicht in ihrem scheinbaren unmittelbaren Dasein.