1914 begann der Erste Weltkrieg. Bis heute überliefert ist das sogenannte „Augusterlebnis“, die freudentaumelnde und geradezu hysterische Begeisterung, die alle Bevölkerungsschichten erfasst habe, als sie vom Kriegseintritt Deutschlands gehört hatten. Die Entscheidung für den Krieg dürfte allerdings längst nicht überall so erlebt worden sein, wie es vielfach beschrieben wurde. Beschrieben wurden die Ereignisse nämlich von Intelektuellen und bei ihnen wirkte das „Augusterlebnis“ besonders intensiv. Bei den „einfachen Menschen“ gab es jedoch mehr Ängste und Fragen als Begeisterung.
Darüber hinaus gab es auch entschiedene Gegner_innen des Krieges. Zu ihnen gehörten Anna und Robert Pöhland aus Bremen, die beide aktiv in der Bremer Arbeiterbewegung. Anna Pöhland war Mitbegründerin der Dienstbotengewerkschaft in der Hansestadt und ihr Mann Robert aktiv im Bauarbeiterverband. Beide waren sie Mitglied in der Sozialdemokratischen Partei, die vor dem Krieg die Ideale des Friedens und des Internationalismus hochhielt, dann aber mehrheitlich den Krieg unterstützte.
Als Vater von fünf Kindern wurde Robert Pöhland erst im Juli 1915 zum Kriegsdienst eingezogen. Zu diesem Zeitpunkt war schon lange klar, dass der Krieg nicht im Spaziergang zu gewinnen war, wie es anfangs viele glaubten. Bis zu seiner Einberufung unterstützte er in Gewerkschaft und Partei die Opposition gegen die Kriegsbefürworter und deren Burgfriedenspolitik, also den Verzicht auf Arbeitskämpfe für die Zeit des Krieges. Seine Einberufung zum Kriegsdienst hat er möglicherweise rechten Gewerkschaftsführern zu verdanken, die so einen unbequemen Kritiker los werden wollten.
Im Oktober 1916 wird Robert Pöhland bei einem Angriff auf seine Stellung von einer Granate getroffen und getötet. In der Zeit seines Kriegsdienstes gab es einen regen Briefwechsel der Familie, den die Historikerin Doris Kachulle herausgegeben hat und im PapyRossa Verlag erschien. Fast täglich berichtete der Soldat seiner Frau von seinen schrecklichen Erlebnissen: Zuerst sinnloser Drill und Schikanen in der Grundausbildung und dann vom Einsatz an der Front, der für ihn immer gefährlicher wird. Besondere Probleme hatte er aber auch als klassenbewusster Arbeiter, der nicht nur bei den Vorgesetzten aneckte, sondern auch wenig Verständnis hatte für seine Kameraden, die politisch desinteressiert waren und ihr Geld für Alkohol und Glücksspiel ausgaben. Seine Frau berichtete ihm von den Schwierigkeiten, zuhause überleben zu müssen angesichts eines immer geringeren Angebots an erschwinglichen Lebensmitteln. Das Versorgen der Familie wurde erschwert durch eine schwere Krankheit von Anna Pöhland selbst und von ihrer jüngsten Tochter. Thema ist immer wieder die Auseinandersetzung mit bürgerlich karitativen Einrichtungen, die zwar Hilfe auch für notleidende Familien organisierten, aber auch immer den Arbeiterfamilien vorwarfen, durch ihren Lebenswandel selbst zum Elend beizutragen.
Trotz dieser extrem schwierigen Bedingungen verfolgte Anna Pöhland aufmerksam die Diskussionen innerhalb der Bremer Sozialdemokratie, nahm an Versammlungen teil und führte Demonstrationen von Frauen gegen die Lebensmittelknappheit an. Ihren Mann im Krieg versorgte sie mit Informationen über die Entwicklung in der Bremer Arbeiterbewegung und versorgte ihn auch mit Zeitungen und Zeitschriften. Mit großer Sympathie beschrieb sie ihm die Position der sogenannten „Bremer Linksradikalen“, die entschieden in Opposition zum Krieg standen, und die die wachsende Unzufriedenheit mit dem Krieg zum Sturz der Monarchie und des Kapitalismus weitertreiben wollten.
Der Briefwechsel gibt einen authentischen Einblick in die materiellen Probleme der Menschen zuhause und in die unerträglichen Bedingungen an der Front. Es lässt sich auch verfolgen, wie die Zustimmung zum Krieg nachlässt und politische Aktionen dagegen trotz Polizei und Kriegsrecht an Zustimmung gewinnen. Das Buch ist ein gelungenes Beispiel einer „Geschichtsschreibung von unten“. Umfangreiche Anmerkungen zu den Briefen dienen dazu, genannte Personen und Ereignisse näher zu beschreiben. In einem kurzen Aufsatz fasst Klärchen Krebs, eine Tochter der beiden, ihre Erinnerungen an die Eltern zusammen und beschreibt auch ihr politisches Engagement. Im Anhang erläutert der Historiker Jörg Wollenberg die Briefe im Zusammenhang mit der Entwicklung der Bremer Arbeiterbewegung und geht auf die Herausbildung der „Bremer Linksradikalen“ ein. Viele Andeutungen aus den Briefen werden dadurch erkärt.
Doris Kachulle (HG.)
Die Pöhlands im Krieg. Briefe einer sozialdemokratischen Bremer Arbeiterfamilie aus dem Ersten Weltkrieg.
PapyRossa Verlag, Köln 2006