Soziale Spaltung der abhängig Beschäftigten

Beispiele aus dem Darmstädter Raum

Der neue Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung beinhaltet wertvolle Daten, die die soziale Spaltung in der Bundesrepublik nun auch statistisch von höchster Stelle belegen. Von den „Leitmedien“ und den ihnen folgenden regionalen Medien sind entscheidende Entwicklungen aber nicht zu Kenntnis genommen worden. Zum Teil mag das auch daran liegen, dass der ursprüngliche Berichtsentwurf zur Ressortabstimmung von der Arbeits- und Sozialministerin Andrea Nahles an die übrigen Ministerien weitergeleitet und durch Einwände des Bundeskanzleramtes und des Finanzministeriums entschärft wurde. So findet man im Bericht weiterhin skandalöse Zahlen, doch eine gesellschaftspolitische Wertung von Fehlentwicklungen ist kaum in dem Bericht auszumachen.

Herausragendes Beispiel hierfür ist die Entwicklung des Bruttolohnes von abhängig Beschäftigten für die Zeitspanne von 1995 bis 2015.

Die Lohnschere geht immer weiter auseinander

„Der mittlere Bruttostundenlohn (Median) abhängig Beschäftigter lag auf Basis des SOEP ( sozio-oekonomische Panel) preis-bereinigt im Jahr 2015 etwa 3 Prozent über dem Niveau des Jahres 1995. Dabei entwickelten sich die realen Bruttostundenlöhne in diesem Zeitraum in den unteren vier Dezilen (= zehn gleiche Teile, E.S.) zum Teil deutlich rückläufig, während in den darüber liegenden Dezilen teils ausgeprägte Zuwächse zu verzeichnen waren (siehe unten Link zu dem Schaubild ). Entsprechend nahm die Ungleichheit unter den Bruttostundenverdiensten der Beschäftigten zu.“

Ein weiterer Kommentar oder Wertung fehlt. Ein Blick auf die Tabelle (s. unten) zeigt: die unteren 3 Zehntel der etwa 43 Millionen abhängig Beschäftigten in Deutschland haben in den letzten 20 Jahren einen realen Bruttolohnverlust von 6% bzw.7% hinnehmen müssen – das betrifft 13 Millionen Beschäftigte. Gleichzeitig verzeichnete das obere 6. bis 10. Zehntel der Beschäftigten eine positive Lohnentwicklung von 8% bis 10%. Diese immer weiter auseinandergehende Lohnspreizung zwischen den unteren und den oberen Lohngruppen ist ein gesellschaftspolitischer Skandal.

Verschärft wird diese ungleiche Entwicklung durch den Rückgang der Lohnquote am Volkseinkommen insgesamt. Die Lohnquote sank von 1995 bis 2015 von 70,7% auf 68,1%, die Profitquote (anteiliges Unternehmens- und Vermögenseinkommen vom Volkseinkommen) stieg von 29,3% auf 31,9%. Die unteren Lohngruppen werden überproportional von der wirtschaftlichen Entwicklung abgehängt.

Viele Arbeitnehmer haben die ungleiche Lohnentwicklung am eigenen Leib erfahren. Hier zwei Beispiele aus dem Darmstädter Raum von Lohnabsenkungen bei den unteren Lohngruppen.

Darmstädter Kreiskliniken

Die Darmstädter Kreiskliniken haben parallel zu ihren Krankenhäusern eine so genannte Spiegel-GmbH aufgebaut. Neu eingestellte Beschäftigte werden zu stark abgesenkten Tarifen in dieser neuen GmbH eingestellt im Vergleich zu dem üblich geltenden TVöD (Tarifvertrag öffentlicher Dienst). Die Kürzung der Löhne für die neueingestellten Beschäftigten ist sehr unterschiedlich und beträgt zwischen 100 bis 700 €. Die Arbeitszeit wird von vormals 39 Stunden auf 40 Stunden erhöht. Das so genannte Weihnachtsgeld entfällt ganz oder wird stark gekürzt. Besonders gravierend ist die Streichung der Zahlung des Arbeitgebers in die Betriebsrentenkasse (zur Zeit 5,8% des Gehalts im öffentlichen Dienst). Diese Zusatzrente macht nach 35 Beschäftigungsjahren ca. ein Drittel der Rente aus – Altersarmut wird durch den Landkreis Darmstadt damit direkt gefördert.

Diakonie Hessen

Im Bereich des Diakonischen Werkes Hessen Nassau sind ca. 17.000 MitarbeiterInnen beschäftigt, vorwiegend in Altenheimen, Krankenhäusern und Einrichtungen der Jugend- und Behindertenhilfe – alles Bereiche, die von öffentlichen Geldern finanziert werden und in die die Kirche keine Kirchensteuern hineinsteckt. Trotzdem baut die evangelische Kirche die Löhne dieser Beschäftigten massiv ab. Bereits 2005 ersetzte die evangelische Kirche in Hessen Nassau den BAT (Bundesangestelltentarifvertrag) des öffentlichen Dienstes durch eine eigene „Ordnung“. Die unteren zwei Gehaltsgruppen wurden besonders geschröpft: innerhalb von nur 3 Jahren wurde bei Beschäftigten mit längerer Betriebszugehörigkeit der Lohn bis zu 400 Euro abgesenkt – ohne eine Besitzstandregelung. Die übrigen Beschäftigten erlitten Gehaltseinbußen (unter Einrechnung der Arbeitszeitverlängerung) von „nur“ 7-8%.

Doch damit nicht genug. Die Diakonie, die sich gerne „Anwalt der Schwachen“ nennt, öffnete 2017 die Lohnschere zwischen den unteren und oberen Lohngruppen noch weiter. Die oberen Lohngruppen erhalten eine Lohnerhöhung von 4 % für 2 Jahre (also nur 2 Prozent pro Jahr), die unteren Lohngruppen lediglich 2,5%. Die evangelische Kirche und die Diakonie lassen diese „Erhöhungen“ in eigenen kirchlichen Kommissionen beschließen, in den auch die Oberkirchenräte und Vorstandsmitglieder sitzen, die für sich selbst auf ihre schon hohen Gehälter die satten prozentualen Erhöhungen beschließen und ein mehrfaches an Gehaltssteigerungen als die unteren Lohngruppen einfahren. Die so genannten arbeitsrechtlichen Kommissionen sind so konstruiert, dass die Gewerkschaften außen vor bleiben.

 

 

Schaubild Lohnschere: Entwicklung des realen Bruttostundenlohns von abhängig Beschäftigten nach Dezilen (1995-2015) 

 

Erhard Schleitzer
07.05.2017