Hohes Arbeitslosigkeitsrisiko für Geringqualifizierte

DGB Südhessen legt Zahlen für Darmstadt vor

"Im Jahr 2016 lag die Arbeitslosenquote in Darmstadt bei 6,1 Prozent. Doch die Risiken, von Arbeitslosigkeit betroffen zu sein, sind je nach Bildungsstand sehr ungleich verteilt. Besonders von Arbeitslosigkeit betroffen sind An- und Ungelernte. Sie haben ein mehr ca. fünf Mal höheres Risiko, arbeitslos zu werden, als Menschen mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung oder einem Studium (sechs Mal höher) . Konkret bedeutet dies: Für Menschen mit abgeschlossener betrieblicher oder schulischer Berufsausbildung betrug die Arbeitslosenquote 4,0 Prozent und für Akademiker sogar nur 2,6 Prozent, während sie bei Personen ohne abgeschlossene Berufsausbildung bei 16,5 Prozent lag. Besonders hoch ist das Risiko für Geringqualifizierte, von Langzeitarbeitslosigkeit betroffen zu sein. 

In Darmstadt liegt der Anteil an Langzeitarbeitslosen bei Menschen ohne Berufsausbildung bei 42,4 Prozent. Der Anteil der Ungelernten an allen Arbeitslosen liegt bei 58,0 Prozent Zum Vergleich: Bei Menschen mit einer betrieblichen oder schulischen Ausbildung liegt der Anteilswert an verfestigter Arbeitslosigkeit bei 35,3 Prozent. Der Anteil dieser Gruppe an allen Arbeitslosen liegt bei 28,0 Prozent. Insgesamt schützt eine abgeschlossene Berufsausbildung vor Arbeitslosigkeit. Das Risiko, aus Beschäftigung arbeitslos zu werden, ist bei Fachkräften mit einer betrieblichen oder schulischen Ausbildung mit 0,5 Prozent unterdurchschnittlich. Hingegen ist die Wahrscheinlichkeit, einen neuen Arbeitsplatz zu finden, bei dieser Gruppe mit einer Abgangsrate von 8,8 Prozent mehr als doppelt so hoch wie bei Arbeitslosen ohne Berufsabschluss.

In Darmstadt hat jede 5. Erwerbsperson keinen Berufsabschluss. Betrachtet man den Anteil der Beschäftigten ohne Berufsabschluss an den sozialversicherten Beschäftigten, so liegt er bei rd. 14,8 Prozent und ist damit vergleichsweise hoch.“

DGB fordert mehr Prävention durch regionale Qualifizierungsoffensive

Der DGB Südhessen fordert deshalb eine regionale Qualifizierungsoffensive. “ Für Beschäftigte steht das Programm WeGebAU der Bundesagentur für Arbeit zur Verfügung, mit dem geringqualifizierte oder ältere Beschäftigte in Unternehmen gefördert werden können, um sie weiter zu qualifizieren und so vor Arbeitslosigkeit zu schützen…Jetzt kommt es darauf an, zu handeln und möglichst viel in die Nachqualifizierung von Geringqualifizierten zu investieren.“

Bei Hartz-IV-Beziehern sind jedoch die Jobcenter gefragt. „Hier muss deutlich mehr in abschlussbezogene Weiterbildungen investiert werden. Mittel, die für die Förderung (Langzeit-) Arbeitsloser und hilfebedürftiger Beschäftigter gedacht waren, müssen schnell und direkt eingesetzt werden und dürfen nicht in die Verwaltungen der Jobcenter fließen“.

Aus armen Arbeitslosen dürfen keine armen ArbeitnehmerInnen werden

Das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) der Ernst Böckler-Stiftung hat in einer neuen Untersuchung vom Juli 2017 ausgeführt, dass die derzeitig praktizierte „aktivierende Arbeitsmarktpolitik“ einen falschen Ansatz verfolgt. Der aktivierungspolitische Ansatz basiert auf der Grundannahme, dass Erwerbstätigkeit grundsätzlich der beste Weg aus der Armut ist. Allerdings berücksichtigt dieser Ansatz nicht, wie die Arbeitsbedingungen (Löhne, Erwerbsbeteiligung) in den neuen Beschäftigungsverhältnissen ausgestaltet sind. Die Untersuchung zeigt, dass Aktivierungspolitiken das Armutsrisiko unter Erwerbstätigen erhöhen können, statt es zu senken. Strenge Anspruchsvoraussetzungen für den Leistungsbezug, und der Vorrang der Vermittlung auch in niedrig entlohnte und kurzfristige Beschäftigungsmöglichkeiten, erhöhen das Risiko einer dauerhaften Erwerbsarmut. 

Aus armen Arbeitslosen werden arme ArbeitnehmerInnen, wenn sie gezwungen werden, Arbeitsangebote auch dann anzunehmen, wenn sie schlecht entlohnt werden und unterhalb des eigenen Qualifikationsniveaus liegen. Deutschland weist mit seiner „Aktivierungspolitik“ innerhalb der EU mit Abstand den höchsten Zuwachs an Erwerbsarmut auf. Die Erwerbsarmutsrate hat sich zwischen 2004 und 2014 auf 9,6 % verdoppelt. 

„Im Rahmen der Arbeitsvermittlung gilt es, von kurz- auf langfristige Wirtschaftlichkeit umzustellen, das heißt, statt des Vorrangs der Vermittlung auch in niedrig entlohnte und kurzfristige Beschäftigungsmöglichkeiten, eine nachhaltige und qualifikationsgerechte Vermittlung zu gewährleisten. Es geht dabei um einen Paradigmenwechsel: Weg von der Aktivierung und dem Vorrang der direkten und schnellen Vermittlung hin zu einer individuellen Förderung und Befähigung der Arbeitssuchenden.“ 

Die Autoren des WSI-Berichtes fordern deshalb, „insgesamt sollte die Sanktionspraxis abgeschwächt werden, vor allem die Zumutbarkeitsregeln im Hartz-IV-System sollten entschärft und an den Mindestlohn angepasst werden. Weiterhin sind auskömmliche Lohnersatzleistungen und existenzsichernde Hartz-IV-Leistungen sicherzustellen. Zu diesem Zwecke sollten die Regelsätze auf der Basis eines transparenten Verfahrens zur Bestimmung des soziokulturellen Existenzminimums überprüft werden.“

DGB Südhessen/WSI/Erhard Schleitzer
10.08.2017