(K)ein Staat Palästina – was dann?

Nahost-Expertin Petra Wild in Darmstadt

So lautete der Titel eines vom Israel-Palästina Solidaritätskreis Darmstadt und den LINKEN organisierten Vortrages der Nahost-Expertin Petra Wild, den sie am 10.10.2017 im vollbesetzten HoffArt-Theater – und nicht wie ursprünglich angekündigt im Heiner Lehr-Zentrum am Kopernikus-Platz -  in Darmstadt hielt. In allerletzter Minute wurde mitgeteilt, dass der ursprünglich vorgesehene Vortragsort „wegen eines Wasserschadens“ nicht verfügbar sei.  Als offenes Geheimnis zirkulierte die Vermutung, dass die „Antideutschen“ um Herrn Philip Krämer von der Grünen Jugend Hessen, für die jegliche Israelkritik Antisemitismus ist, die Veranstaltung torpedieren wollten.

In ihrem Vortrag analysierte Petra Wild die zionistische Bewegung, die schließlich zum heutigen Staat Israel führte, als Siedlerkolonialismus. Wie etwa im damaligen Apartheitsstaat Süd-Afrika unterdrücke er die Palästinenser und versuche, sich ihrer zu entledigen. Ihre heutige Situation  – geprägt durch immer mehr israelische Siedlungen in der West-Bank, die Mauer, fortgesetzte Verkleinerung der palästinensischen Siedlungsräume, ihre dramatische Wassernot in der West-Bank und in Gaza und viele andere Diskriminierungen  - bezeichnete Frau Wild als schleichende ethnische Säuberung oder als „Politizid“.

Nicht unerwähnt ließ Petra Wild die Existenz einer aus Palästinensern und Israelis bestehenden Bewegung, die von der Zweistaatenlösung Abstand genommen hat und einen demokratischen säkularen Einheitsstaat fordert, der allen palästinensischen Flüchtlingen ein Recht auf Rückkehr in ihre Heimatorte einräumt und für eine konsequente Entkolonisierung steht. Diese Gruppierung ist aber zu klein, um einen spürbaren Einfluss auf die aktuelle Politik ausüben zu können.

Was ist für die Zukunft zu erwarten? Auf der Seite der Palästinenser ist, so Frau Wild, eine deutliche Desillusionierung festzustellen. Die „Oslo-Generation“ glaubt nicht mehr an einen Erfolg des Friedensprozesses, auf den man in Palästina mehrere Jahrzehnte lang gewartet hat. Bei ihr ist eine wachsende Bereitschaft festzustellen, den Kampf um ihre Rechte wieder zu intensivieren. Dazu gehört auch ihre Abkehr von den Oslo-Vereinbarungen und damit eine Entfremdung von ihrer Autonomiebehörde. Als aktuell größte Herausforderung erkennt man den Widerstand gegen die immer weiter ausgreifenden Siedleraktivitäten. Auf der israelischen Seite gibt es widersprüchliche Symptome. Einerseits ist Israel bis an die Zähne bewaffnet und präsentiert sich als prosperierender High-Tech-Staat, andererseits übersteigt die Auswandererquote inzwischen die der jüdischen Einwanderer. Außerdem wächst der internationale Druck auf Israel, seine Apartheitspolitik aufzugeben, stetig. Insgesamt stellt Petra Wild eine gewisse Erosion des Siedlerstaates Israel fest. So glaube ich, bei ihr folgendes Fazit herausgehört zu haben, auch wenn sie sich einer deutlich ausgesprochenen Prognose und persönlichen Wertung enthält: Die Zeit arbeitet gegen die derzeitige israelische Staatsidee. Manches deutet darauf hin, dass den Israelis auf längere Sicht nichts anderes übrig bleiben wird, als dem Vorbild z. B. Süd-Afrikas zu folgen und einem säkularen demokratischen Einheitsstaat zuzustimmen, in dem alle Volksgruppen ihren Platz finden.

Ich erlaube mir noch eine persönliche Bemerkung, die von ganz frischen Eindrücken einer vor wenigen Wochen stattgefundenen Exkursion des Evenari-Forums der TU Darmstadt nach Israel/Palästina gespeist ist: Auch meine Beobachtung, dass Israel tatsächlich ein hochmodernes High-Tech-Land ist, konnte schreiende Ungerechtigkeiten nicht kaschieren. Hier nur ein einziges Beispiel: Bei unserem Besuch in einem auf einer Anhöhe gelegenen kleinen Palästinenserdorf (Nabi Saleh, ca. 20 km nördlich von Ramallah) sah ich mit eigenen Augen, dass diesseits der von israelischen Militärfahrzeugen befahrenen Straße, die durch ein kleines Tal führt und Nabi Saleh von einer martialisch umzäunten israelischen Siedlung auf dem nur wenige hundert Meter entfernten Nachbarhügel trennt, alle Pflanzungen (Olivenbäume usw.) praktisch verdorrt waren, während die Pflanzungen auf der anderen Straßenseite satt grün erschienen. Hier hat man kaum Wasser zur Verfügung, dort gibt es Wasser im Überfluss. Unser israelischer Reiseführer, bei diesem Besuch in Nabi Saleh leider nicht dabei und anderntags von mir darauf angesprochen, kommentierte den eklatanten Wassernotstand der Palästinenser lediglich mit der Bemerkung, dass Araber kulturbedingt nicht mehr Wasser benötigen. Keineswegs aber werde ihnen seitens der Israelis Wasser vorenthalten. Seine Worte machten mich sprachlos.

Ganz zum Schluss muss ich nochmal auf den eingangs bemerkten Versuch der „Antideutschen“ zurückkommen, die Vortragsveranstaltung von Petra Wild zu verhindern. Sie werfen den Kritikern der aktuellen israelischen Politik Antisemitismus vor. Auch mir selbst wurde dies in vergangenen Jahren bei Veranstaltungen schon vorgeworfen. Beispielsweise erinnere ich mich an eine von Herrn Martin Frenzel verantwortete Veranstaltung im Darmstädter Liebig-Haus zum Thema „Gibt es in Deutschland einen neuen Antisemitismus?“ Hier wurde ich von den Podiumsteilnehmern und vom Organisator als Antisemiten hingestellt, weil ich selbstverständlich die schweren israelischen Luftangriffe auf Gaza verurteilte. Dass ich mich als Antifaschisten outete, der wohl sein ganzes bewusstes Leben lang unter dem Wissen der ungeheuerlichen Verbrechen von NS-Deutschland an den Juden litt und weiter leiden wird, änderte gar nichts daran.

Ich aber meine, wir alle – auch die Deutschen und die Israelis – sollten aus dem Holocaust universell gültige Lehren ziehen, die jeden Einzelnen und jeden Staat zu verantwortbarem Handeln verpflichten. Gegen Rassenhass und Kolonialismus! Für Menschenwürde und Gerechtigkeit!

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Franz Fujara war bis zu seiner Pensionierung Professor an der TU Darmstadt. Er war  über viele Jahre Sprecher der Interdisziplinären Arbeitsgruppe Naturwissenschaft, Technik und Sicherheit (IANUS) an der TU Darmstadt, die sich im weitesten Sinne mit naturwissenschaftlicher Friedensforschung beschäftigt. Er ist in der Flüchtlingsarbeit engagiert und Fraktionsvorsitzender der LINKEN in Mühltal.

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Ein Kommentar von Franz Fujara
24.10.2017