Distomo, Kalavryta, Saloniki und ...

Deutscher Besatzungsterror in Griechenland 1941/44 und die griechischen Entschädigungsforderungen heute

Als die am 25. Januar 2015 neugewählte griechische Regierung ankündigte, die Zahlung von Reparationsforderungen für die Verbrechen der deutschen Besatzungsmacht in Griechenland von 1941 bis 1944 stärker verfolgen zu wollen, war die Empörung in der Regierung und an den Stammtischen groß. Doch ist diese Forderung keineswegs so überraschend wie es immer wieder hingestellt wird. Griechische Regierungen haben sie immer wieder erhoben und auch in Deutschland gibt es schon lange Stimmen, die diese Forderung unterstützen. So gab es im Herbst 2001 in Darmstadt eine Konferenz, die sich dieser Frage befasste. Veranstaltet wurde sie vom AStA der Technischen Universität Darmstadt, der Darmstädter Geschichtswerkstatt e.V. und der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes(VVN)–Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (BdA) Darmstadt-Dieburg. Diese Konferenz sandte eine Resolution an den damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder, an Außenminister Joseph Fischer und an die Fraktionsvorsitzenden der Bundestagsparteien. Es wird gefordert, dass dass die deutsche Regierung politische Verantwortung für die Verbrechen während der Besatzung Griechenlands übernimmt. Diese Resolution blieb damals unbeantwortet. Die Regierung konnte dieses Thema totschweigen. Die neue griechische Regierung geht dieses Thema offensiver an und - was damals und in den Jahren danach nie gelungen ist, kommt jetzt endlich, dank der politischen Wende in Griechenland, ein wenig auf die öffentliche Tagesordnung.

Der offene Brief aus dem Jahr 2001 belegt, dass die Forderungen keines wegs neu sind. Sie bleiben aber aktuell.

 

Veranstalter: AStA der Technischen Universität Darmstadt, Darmstädter Geschichtswerkstatt e.V., Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes(VVN)–Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (BdA) Darmstadt-Dieburg

Offener Brief                                                              1. Dezember 2001

An

Bundeskanzler Gerhard Schröder, Bundeskanzleramt, Willy-Brandt-Str. 1, 10557 Berlin
Außenminister  Joseph Fischer, Auswärtiges Amt, Werderscher Markt 1, 10117 Berlin

zur Kenntnis den im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien
z.H. der Fraktionsvorsitzenden (SPD: Dr. Peter Struck; CDU/CSU: Friedrich Merz; Bündnis 90/Die Grünen: Kerstin Müller, Rezzo Schlauch; FDP: Dr. Wolfgang Gerhardt; PDS: Roland Claus), jeweils: Platz der Republik 1, 11011 Berlin

Überfällig: Entschuldigung und Entschädigung für die von der deutschen Besatzungsmacht in Griechenland 1941/1944 begangenen Verbrechen !

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler Schröder,

sehr geehrter Herr Außenminister Fischer,

mehr als sechsundfünzig Jahre nach Beendigung des Zweiten Weltkriegs warten hunderte von Dörfern und Städten, Tausende von Familien in Griechenland, die in den Jahren der deutschen Okkupation von 1941 bis 1944 Opfer von Massenmord und Zerstörung waren, wartet auch der griechische Staat bis heute vergeblich auf eine Entschuldigung der deutschen Regierung für diese Unrechtstaten – von einer materiellen Entschädigung für die unermeßlichen Personen- und Sachschäden und von der Rückzahlung der dem damaligen griechischen Staat aufgezwungenen Zwangsanleihe ganz zu schweigen. Die Namen der Städte und Dörfer wie Kalavryta, Distomo, Kommeno, Klisura oder Chortiatis, die in den letzten Monaten häufiger genannt wurden, weil sie sich gegen jahrelange strikte Verweigerung dieser und früherer Bundesregierungen gerichtlich zur Wehr setzen, stehen exemplarisch für viele Kommunen, die Objekt grausamer Kriegsverbrechen deutscher Wehrmachts- und SS-Verbände wurden.

Wir, die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Konferenz  „ Deutscher Besatzungsterror in Griechenland 1941 – 1944“, die vom 30.11. bis 02.12.2001 in Darmstadt getagt hat, fordern Sie als die politische Verantwortlichen auf: Geben Sie die für Deutschland und dessen Verantwortung vor seiner Geschichte beschämende Verweigerungshaltung auf und treten Sie mit den Vertretern der griechischen Opferfamilien und -kommunen sowie mit der griechischen Regierung umgehend in Gespräche über eine rasche und angemessene, d.h. für die Opfer akzeptable Genugtuung für das erlittene Unrecht ein!

Unsere Aufforderung an Sie ergeht u.a. vor folgendem Hintergrund:

Tatsache und Zahl der in ihrer Grausamkeit  unbeschreiblichen Kriegsverbrechen ist von griechischen und deutschen Historikern mit gesicherter Beweiskraft  längst nachgewiesen und in öffentlich zugänglichen Untersuchungen beschrieben.
Die von den griechischen Opfern und ihren Vertretern inzwischen auch gerichtlich vorgetragenen Forderungen sind dem Grunde nach nicht nur moralisch, sondern auch als eingeklagte Ansprüche gegenüber dem deutschen Staat berechtigt, weil es sich nicht etwa um berechtigte oder umstrittene Reparationsansprüche wegen der Folgen von Kriegshandlungen, sondern um Entschädigungsansprüche wegen Kriegsverbrechen handelt.
Hinweise auf das Londoner Schuldenabkommen von 1953 verbieten sich spätestens seit Abschluß des Zwei- plus Vier-Vertrags von 1990, wie das Bundesverfassungsgericht im Mai 1996 im Zusammenhang mit Entschädigungsklagen ehemaliger Zwangsarbeiter verbindlich entschieden hat.
Ein Verweis der Bundesregierung auf das deutsch-griechische Abkommen von 1960, auf dessen Grundlage Deutschland 115 Millionen DM Entschädigung an Griechenland geleistet hat, verbietet sich in gleicher Weise, da dieser Betrag nicht etwa nur weit hinter einem angemessenen Ausgleich für die Opfer zurücklag, sondern – wie der Vertragstext besagt -  ausdrücklich den Opfern von politischer, religiöser und rassischer Verfolgung vorbehalten war. Die Leistungen aus diesem Abkommen sind also gerade nicht für die anderen ungezählten Mordopfern unter der Zivilbevölkerung – den Überlebenden oder Nachkommen von Opfern und den verwüsteten Kommunen – bestimmt gewesen.

Dies alles ist Ihnen selbstverständlich im Kern bekannt. Ihre Berater aus der Ministerialbürokratie beraten Sie offensichtlich nach der Maßgabe, mit den 1960 gezahlten 115 Millionen müsse es schon deshalb sein Bewenden haben, weil bei einem „Nachgeben“ im Falle der Forderungen aus Griechenland mit hoher Wahrscheinlichkeit einen „Dammbruch“ für weitere Reparationsforderungen aus ehemals okkupierten Ländern erfolgen werde.

Wir fragen Sie: soll diese Grundhaltung im Ernst die Verantwortung der deutschen Regierung gegenüber der historischen Wahrheit zum Ausdruck bringen, deren überprüfbare Tatsachen offen zu Tage liegen – in Gestalt ungesühnter, tausendfacher Mordtaten (kein einziger der bekannten Täter und Mittäter von damals ist je von einem deutschen Gericht verurteilt worden!), tausendfacher Zerstörung und wirtschaftlicher Ausplünderung Griechenlands?

Auch sechsundfünfzig Jahre nach Kriegsende ist es nicht völlig zu spät für die überfällige Entschuldigung und Entschädigung – es sei denn, die deutsche Bundesregierung setzt weiter auf Geschichts- und Verantwortungsverweigerung und riskiert zudem eine beschämende Verurteilung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, der bekanntlich die Entschädigungsklage der Kläger aus Distomo inzwischen zugelassen hat.

Wir – die Unterzeichner und Unterstützer dieses offenen Briefs – werden unsere demokratischen Möglichkeiten nutzen, den Forderungen der griechischen Opferfamilien und betroffenen Kommunen in Deutschland mehr Resonanz zu verschaffen. Wir fordern Sie auf: Revidieren Sie die jeder Gerechtigkeit  und der geschichtlichen Wahrheit Hohn sprechende Regierungsposition und suchen Sie umgehend den Dialog mit den Vertretern der griechischen Opfer und mit der griechischen Regierung, damit eine für die Opfer annehmbare Verständigungslösung erarbeitet werden kann.

Mit freundlichen Grüßen

für die Veranstalter:              Michael Enderlein      Hannelore Skroblies       Christoph Jetter    

 

(unterstützt durch die unterzeichnenden Konferenzteilnehmer) 

06.04.2015