"Normales Leben minus Freiheit"

Solidaritätsarbeit im Abschiebeknast

Seit April 2018 gibt es in Eberstadt das Abschiebegefängnis. Es befindet sich auf dem Gelände der dortigen Justizvollzugsanstalt. 2015 entdeckte der damalige Innenminister Thomas de Maiziere ein „Vollzugsdefizit in der Aufenthaltsbeendigung“. Die sogenannte Willkommenskultur war zu diesem Zeitpunkt beendet und es ging der Bundesregierung vor allem darum, möglichst viele der nach Deutschland geflüchteten Menschen schnell wieder abschieben zu können. Staaten mit mehr als zweifelhaften Zuständen wurden mal schnell als „sicher“ definiert, damit dorthin leichter abgeschoben werden kann. In der Folge wurden in mehreren Bundesländern neue Abschiebegefängnisse gebaut. So beschloss auch die hessische Landesregierung mit Zustimmung der GRÜNEN den Bau eines Abschiebegefängnisses, eben jenem in Eberstadt. "Normales Leben minus Freiheit" nannte bei der Eröffnung des Gefängnisses Innenminister Peter Beuth zynischer Weise das Leben in der Abschiebehaft.

Zurzeit gibt es Platz für 20 Insassen, verteilt auf vier Fünfer-Gruppen. Diese Gruppen sind in sich abgeschlossen und abgesperrt. Innerhalb dieser Gruppen leben die Inhaftierten in offenen Einzelzellen und es gibt dort eine gemeinsame Dusche und Toilette. Derzeit wird das Gefängnis ausgebaut und soll demnächst 80 Plätze erhalten. Täglich gibt es eine Stunde Hofgang. Innerhalb der Gruppen gibt es einen „Fitnessraum“. Es stehen zwei Sozialarbeiter*innen zur Verfügung, ein Imam, ein katholischer und ein evangelischer Pfarrer.

Abschiebehaft gilt juristisch nicht als Strafe. Doch unterscheiden sich Abschiebeknäste allein optisch nicht von Gefängnissen: Meterhohe Stacheldrahtzäune, Gitterfenster, Sicherheitsschleusen.

Alles Kriminelle?

Das Darmstädter Echo versuchte damals Bedenken seitens antirassistischer Gruppen und von Flüchtlingshelfer*innen zu zerstreuen: „Alle Insassen sind Straftäter“ wurde dort am 10.4.2018 vermeldet und den Kritikern damit quasi eine Falschaussage unterstellt. Diese betonten nämlich, es gehe nicht darum, straffällig gewordene Ausländer*innen abzuschieben. Die Abschiebungshaft richte sich vornehmlich gegen Menschen, die aufgrund eines abgelehnten Asylantrags abgeschoben werden sollen.

Community for all“ ist ein Bündnis, welches sich aus Protest gegen das Abschiebegefängnis gegründet hat und schon vielfältige Aktionen dagegen organisierte. PiA gehört als Gruppe diesem Bündnis an. Ihre Mitglieder besuchen die Inhaftierten und vermitteln bei Bedarf juristische Unterstützung. Renate Leihner gehört dieser Gruppe an und besuchte schon viele dort Gefangene. „In keinem von mir gelesenen Haftantrag war zu lesen, dass der Abschiebehäftling wegen vorangegangener krimineller Aktivitäten abgeschoben werden soll.“, sagt sie zum Grund der Inhaftierung. Die Gründe seien vielmehr abgelehnte Asylanträge oder illegale Einreise nach dem Dublin-Abkommen. Es gehe immer nur darum, die Abschiebung leichter durchsetzen zu können. Selbst nach den bestehenden Gesetzen seien Viele nicht rechtmäßig inhaftiert. Bei Einschaltung eines erfahrener und kompetenter Rechtsanwalt*innen  müssen etwa vierzig Prozent der Gefangenen frei gelassen werden.

Die Abschiebungen erfolgen hauptsächlich in die Maghreb-Staaten und im Rahmen des Dublin Abkommens. Wenn Flüchtlinge in einem anderen Land schon einmal Asyl beantragt haben, dann aber wegen der dort für sie unerträglichen Situation nach Deutschland weiterreisen, werden sie auch gegen ihren Willen dorthin zurückgeschoben.

Mit den Insassen des Gefängnisses Kontakt aufzunehmen ist nicht ganz einfach. Es ist für Besucher*innen nicht einfach möglich anzuklingeln und jemanden zu besuchen. Die Insassen selbst müssen einen Besuchsantrag stellen und dabei Name und Geburtsdatum der Person angeben, die ihn besuchen soll. Bei vielen Inhaftierten ist die Handynummer der Gruppe bekannt und sie wird unter ihnen weitergegeben. So erfahren sie die Daten möglicher Besucher*innen und können einenTermin vereinbaren. Falls nötig kommen zum Besuch auch eine Person mit, die die Sprache der Inhaftierten beherrscht.

Die Gruppe hat eine Liste von Rechtsanwält*innen, die bereit sind, Abschiebehäftlinge zu vertreten. Falls der Inhaftierte noch keine anwaltliche Vertretung hat, wird versucht jemanden von dieser Liste zu engagieren. Die Besuchenden haben eine Vollmacht  für den Anwalt dabei, die ausgefüllt werden muss. Gefragt wird auch nach den Gründen der Inhaftierung.

Doch kommen bei den Besuchen auch die täglichen Probleme im Gefängnis zur Sprache. So gibt es immer wieder Klagen über das Essen, das von Vielen als ungenießbar bezeichnet wird. Das Essen wird einmal täglich gereicht. Mit dem Mittagessen gibt es verpackt das Abendessen und das Frühstück für den nächsten Tag.

Viele leben isoliert, verlassen ihr Zimmer nicht, weil sie die Sprache der Mithäftlinge nicht verstehen oder weil es in dieser Zwangsgemeinschaft Stress oder Streit gibt. Selbstverletzungen und Randalieren waren schon Folge dieser Haftbedingungen.  Haft bedeutet stets die vollständige Aufgabe der persönlichen Autonomie. Ein strikter Tagesablauf und permanente Kontrolle verunmöglichen jegliche Bewegungsfreiheit und Entfaltungsmöglichkeit. Dazu kommt die Angst vor der drohenden Abschiebung

Neues Gesetz erweitert Möglichkeiten zu Abschiebungen und verschärft Haftbedingungen

Renate Leihner hält es für wichtig, den Häftlingen im Abschiebeknast Hilfe anzubieten und deutlich zu machen, dass es Menschen gibt, die es nicht richtig finden, wie der Staat mit ihnen umgeht. „Doch das alleine kann nicht genügen. Wichtig ist es, sich politisch für die Schließung des Abschiebegefängnisses und gegen die Politik der Abschiebungen generell einzusetzen.“ Dies umso mehr, da ein neues Gesetz von Innenminister Seehofer die Lage noch weiter verschärfen wird.

So soll die Palette sicher Herkunftsstaaten erweitert werden, in die dann „problemlos“ abgeschoben werden kann. Die Abschiebehaft kann auf bis zu 1,5 Jahre ausgedehnt und zum rechtlichen Standard werden, denn schon „vermutete Fluchtgefahr“ kann als Haftgrund gelten. Die Betroffenen sollen künftig beweisen, dass bei einer drohenden Abschiebung keine Fluchtgefahr besteht. Da durch diese Regelung die Zahl der Abzuschiebenden enorm ansteigen wird, soll Abschiebehaft auch in normalen Gefängnissen möglich sein. Zumindest solange in den Abschiebehaftanstalten keine ausreichende Zahl von Plätzen vorhanden ist. Darüber hinaus hat das neue Gesetz für alle Asylbewerber*innen  einen schlechteren Zugang zu Sozialleistungen und einen höheren Grad an sozialer Ausschließung zur Folge. So besteht während des ganzen Verfahrens faktisch ein Arbeitsverbot und es können nur Sachleistungen empfangen werden.

Die Gruppe freut sich über personelle und finanzielle Unterstützung:

Kontoverbindung:

ClandestIni - Solidarität mit Flüchtlingen

IBAN:    DE21508900000056820000

BIC: GENODEF1VBD

Volksbank Südhessen-Darmstadt eG.

Kontakt:

commforall_support@lists.riseup.net

Reinhard Raika
14.08.2019
Schlagwörter: