Dem Lob der Klimabewegung folgt sogleich der Sündenfall

Exklusivwohngebiet am See mitten im Bürgerpark geplant

Zuerst das Positive. Vor der Stadtverordnetenversammlung am 29.8.19 hielt die Initiative Klimanotstand eine gut besuchte Kundgebung mit über 100 Teilnehmer*innen ab und übergab den Vertreter*innen der Stadt und den Stadtverordneten verschiedener Parteien eine Resolution, in der die Stadt aufgefordert wurde, den Klimanotstand auszurufen. Diese Resolution enthält im Kern drei Forderungen:

1. Darmstadt soll bis spätestens 2035 klimaneutral sein.

2. Jede Entscheidung der Stadt soll unter den Aspekten des Klimaschutzes geschehen.

3. Es soll ein Klimabeirat gegründet werden, welcher engagierten Bürger*innen ermöglicht sich aktiv in die Stadtpolitik einzubringen (s. siehsmaso vom 17.7.2019).

Zahlreiche Gruppen in Darmstadt und ca. 1700 Unterzeichner*innen der online-Petition unterstützen die Forderungen der Initiative.

Dann das Nachdenkliche. Alle Vertreter*innen der Stadt und der Parteien erklärten, für wie wichtig sie diese Bewegung halten. Und OB Partsch lobte die Aktion überschwänglich, „das was sie machen ist absolut notwendig“. Den Abschluss der Aktion bildete ein Gruppenbild, bei dem alle Vertreter*innen der Stadtregierung, fast aller Parteien und der Klimanotstandsgruppe einvernehmlich in das Foto lächelten – verbreitet in der Presse und den sozialen Medien.

Und dann der „Hammer“: der Bürgerpark soll bebaut werden

Nur ein paar Stunden später stand das Thema Bebauung der Bürgerparks auf der Tagesordnung der Stadtverordnetenversammlung. Hier Auszüge aus dem Stadtlexikon der Stadt Darmstadt:

„Das Gelände zwischen Arheilger Straße im Westen, Rhönring im Süden, Kranichsteiner Straße im Osten und Martin-Luther-King-Ring im Norden, der heutige Bürgerpark, war noch Anfang der 1970er Jahre geprägt von kleingärtnerischer Nutzung, großen Brachflächen, die teilweise als Übungsgelände des THW genutzt wurden, sowie Resten offen gelassener Tongruben von ehemaligen Ziegeleien. Warum diese Verschwendung potenziellen Baulands unmittelbar am Rande der Kernstadt, das selbst im Flächennutzungsplan aus dem Jahr 1961 noch als Neuordnungsgebiet ausgewiesen war?“ (https://www.darmstadt-stadtlexikon.de/b/buergerpark/)

Die Antwort im Stadtlexikon ist klar und einfach: Die damalige TH Darmstadt erweiterte ihren Standort auf dem Lichtwiesengelände, das damals für die Darmstädter Bevölkerung ein wichtiges Naherholungsgebiet war. „Für diesen Verlust galt es nun ein entsprechendes Äquivalent zu finden. Dies wurde möglich, nachdem der Bebauungsplan von 1974 das ursprüngliche Bauerwartungsland in den oben genannten Grenzen nun als Parkfläche festschrieb und die Stadt DA das Gelände des Karlshofs westlich der Kranichsteiner Straße erwerben konnte.“ Also städteplanerisch ein klares Tauschgeschäft: für die Bebauung der Lichtwiese durch die TH wird das Gebiet des Bürgerparks als Naherholungsgebiet für die Darmstädter Bevölkerung ausgewiesen.

Das geplante neue Baugebiet mit 25.000 Quadratmetern (südlich begrenzt von der Kastanienalle, im Norden vom Elfeicher Weg) liegt vollumfänglich im Bürgerpark. Dessen Grenzen werden im Stadtlexikon beschrieben: „Darüber hinaus folgt bis zur nördlichsten Grenze, dem Martin-Luther-King-Ring, der landschaftlich gestaltete Parkteil mit Hügeln, Seen, Gehölzpartien, Waldbereichen und Wiesenflächen, verbunden mit einem interessant gestalteten Wegenetz.“

Mitten in dem geplanten Baugebiet liegt ein kleiner See, eine ehemalige Tongrube. „Die ehemals offen gelassenen Tongruben wurden durch umfangreiche Rekultivierungsmaßnahmen in den Park einbezogen und bilden heute eine interessante Seenkette mit artenreichen Ufer- und Sumpfbiotopen als Lebensraum für sehr viele Tiere und Pflanzen,“ so steht es noch im Stadtlexikon. Auch die Erholungsfunktion des Bürgerparks wird als außerordentlich hervorgehoben. „Der Park bietet den Spaziergängern ausreichende Ruhemöglichkeiten, Wiesen zum Lagern und Spielen mit entsprechenden Spieleinrichtungen… Der Park wurde zwischenzeitlich, vor allem für die Bürger des dicht besiedelten Martinsviertels und für die Menschen in Neu-Kranichstein, ein wichtiger Ort der Naherholung und hat stadträumlich als größter zentraler Freiraum einen besonders hohen ökologischen Stellenwert.“

Der Käufer

Käufer und Investor für diese „Sahneschnitte“ im Bürgerpark ist der Milliardär Claus Wisser aus Frankfurt. Clauss Wisser ist Gründer der WISAG-Unternehmensgruppe mit fast 50.000 Mitarbeiter*innen, die technische und infrastrukturelle Dienstleistungen anbietet und einer der größten Gebäudereinigerfirmen in Deutschland ist. Wisser ist langjähriges SPD-Mitglied und gilt laut Frankfurter Rundschau „als reichster Sozialdemokrat Deutschlands“. Doch seine Parteimitgliedschaft hindert ihn nicht, rabiat gegen unliebsame Betriebsräte vorzugehen und sie mit Kündigungen zu überziehen. "Es geht der WISAG ganz offensichtlich darum, eine kritische Stimme im Betrieb zum Schweigen zu bringen und eine Berichterstattung über die Arbeitsbedingungen im Konzern zu verhindern", kommentiert ver.di die (vergeblich) versuchte Kündigung eines Betriebsrates durch die WISAG. Wer sich im Netz umschaut, trifft auf zahlreiche Artikel und Beschwerden über die Arbeitsbedingungen bei WISAG. Dieses so „erwirtschaftete“ Geld sucht nun nach guten Anlagebedingungen.

„Wir müssen und wir werden auch Wohnraum für Fach- und Führungskräfte in unserer Stadt schaffen“

Mit diesen Worten warb Oberbürgermeister Partsch auf der Stadtverordnetenversammlung für dieses neue Edelbauprojekt mit Seegrundstück mitten im Bürgerpark. Das Parkgrundstück mit einzigartiger Lage an einem kleinen See soll angeblich für 6 Millionen Euro von Wisser von einer Privatperson erworben worden sein. Zwischen Wisser und der Stadtregierung soll es außerdem umfangreiche Vorsondierungen gegeben haben, in denen dem Milliardär die Zustimmung der Stadtverordnetenversammlung zu dem Bauprojekt – mit schwarz-grüner Mehrheit - in Aussicht gestellt wurde. So kam es denn auch.

Werner Krone von der LINKEN bezeichnete das Projekt als ein „Exklusivwohngebiet“ und hält es schlichtweg für “dreist“. Kerstin Lau von Uffbasse wies darauf hin, dass es sich bei dem Bauprojekt um eine klimarelevantes Vorhaben handele (leider stimmte nicht die gesamte Fraktion von Uffbasse geschlossen gegen dieses Bauprojekt).

Widerstand formiert sich

Gegen die geplante Bebauung hat sich im Martinsviertel bereits eine Bürgeriniative gegründet. Auch der Vorstand des Bezirkvereins Martinsviertel verlangt einen Baustopp. Ob nun der Klageweg beschritten wird, wird noch geprüft.

 

 

 

 

 

 

 

 

Erhard Schleitzer
03.09.2019