Streiken kann sich lohnen

Busfahrer*innen können ihre Forderungen durchsetzen. Aber lange Laufzeit des Tarifvertrages

Am 19. Dezember gab ver.di das Ergebnis der Urabstimmung im Tarifkonflikt des privaten hessischen Omnibusgewerbes bekannt. 81,12 Prozent der betroffenen Gewerkschaftsmitglieder stimmten für das in einer Schlichtung ausgehandelte Ergebnis. Im November streikten die Busfahrer*innen nahezu zwei Wochen für ihre Forderungen (siehe siehsmaso vom 27.11.2019). Dabei ging es ihnen hauptsächlich um eine spürbare Anhebung der Löhne. Sie sollte stufenweise von 13,50 Euro auf 16,70 Euro im März 2022 angehoben werden. Außerdem wurde eine Erhöhung des Urlaubs auf 30 Tage und eine komplette Bezahlung von fahrplanbedingten Pausen und Wendezeiten gefordert.

Deutliche Lohnerhöhungen durchgesetzt

Das Ergebnis der Schlichtung kommt den Lohnforderungen sehr nahe:

Demnach erhalten die Busfahrerinnen und -fahrer im hessischen ÖPNV stufenweise knapp 29 Prozent mehr Lohn. Der Lohn wird in vier Schritten erhöht,

  • von derzeit 13,50 Euro zum 1.1.2020 auf 15,00 Euro,
  • zum 1.4.2021 auf 16,00 Euro,
  • zum 1.7. 2022 auf 16,70 Euro
  • und in einem vierten Schritt zum 1.10.2023 auf 17,40 Euro.

Der Tarifvertrag gilt ab 1.4.2019. Für das zurückliegende Jahr 2019 erhalten die Busfahrer*innen eine Einmalzahlung in Höhe von 950 Euro.

Außerdem wurde vereinbart, die Zeiten unbezahlter fahrplanbedingter Pausen weiter zu verringern und es wird eine betriebliche Altersversorgung eingeführt.

Die Verwaltungsangestellten und das Werkstattpersonal bekommen mit jedem der vier Schritte jeweils 2,9 Prozent mehr Lohn. Die Ausbildungsvergütung wird ebenfalls angehoben, um Beträge zwischen 125 und 195 Euro.

Die Lohnerhöhung für die Busfahrer*innen konnte also im vollen Umfang durchgesetzt werden, lediglich drei Monate später als gefordert. Dies ist ein großer Erfolg des Streiks. Dazu beigetragen hat sicher auch die Tatsache, dass vielerorts die Unternehmen angesichts der schlechten Bezahlung und Arbeitsbedingungen gar nicht mehr genügend Leute fanden, die bereit wären diesen Job zu machen. So fand sich selbst in den Spalten der FAZ ein Kommentar, der die Forderungen unterstützte.

Lange Laufzeit als Schatten

Ein Nachteil des Tarifvertrages ist die lange Laufzeit. Er endet nicht wie von ver.di gefordert zum 31.3.2023, sondern sieht auch noch für Oktober 2013 eine Lohnerhöhung vor und eine Laufzeit bis zum 31.3.2024. Doch kann niemand sagen, wie sich bis dahin die Inflationsrate entwickelt und was die jetzt ausgehandelte Lohnerhöhung dann noch wert ist.

Doch ist eine so lange Laufzeit auch aus gewerkschaftspolitischer Sicht problematisch. Lohnabhängige haben in den letzten Jahren viele Einschnitte hinnehmen müssen, sowohl im Betrieb als auch in der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik. Die Beschäftigten sehen sich dieser Entwicklung häufig ohnmächtig gegenüber. Und wenn es keine kollektive Antwort der Lohnabhängigen gibt, suchen viele ihr Heil im Rechtspopulismus, wie u.a. eine an der TU Darmstadt erstellte Studie zeigt. (siehsmaso vom 18.11.2019). Die Studie zeigt auf, wie wichtig die Erfahrung kollektiven Handelns ist , um das Gefühl der Ohnmacht überwinden zu können. Gemeinsame Aktionen von Beschäftigten gibt es heute vor allem nur in Tarifkonflikten. Lange Laufzeiten bedeuten aber auch eine lange Friedenspflicht für die Gewerkschaften – im Fall der Busfahrer*innen noch mehr als 4 Jahre. Das bedeutet 4 Jahre Stillhalten für die Gewerkschaft in Tariffragen, 4 Jahre in denen dem (weiteren) Klassenkampf von oben keine Streiks von unten entgegengesetzt werden können.

Reinhard Raika
23.12.2019
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