Ob Proteste oder keine entscheidet die Polizei alleine

Meinungsäußerungen zur Situation in griechischen Flüchtlingslagern behindert

Die im Zuge der Corona-Pandemie ausgesprochenen Kontaktverbote machen es unmöglich, politische Anliegen mittels Demonstrationen vorzubringen. Trotzdem gibt es aber eine ganze Reihe von Themen, bei denen viele Menschen die Notwendigkeit sehen, gemeinsam mit Forderungen an die Öffentlichkeit zu gehen. Ein solches Thema sind die Zustände in den völlig überfüllten Lagern auf den griechischen Inseln, wo Geflüchtete in total beengten Verhältnissen und mit katastrophalen hygienischen Zuständen leben müssen.

Die Initiative Seebrücke, die Interventionistische Linke (IL) und andere Gruppen riefen deshalb für letzten Sonntag auch in Darmstadt zu einer „Spurendemonstration“ auf. In einer Pressemitteilung der Interventionistischen Linken heißt es hierzu: „„Für uns stand immer fest, dass während Corona klassische Demonstrationen unverantwortlich sind. Doch noch unverantwortlicher wäre es, angesichts der Eskalation an den EU-Außengrenzen und der dramatischen Situation in den Lagern auf den griechischen Inseln zu schweigen.“  Daniel Haber von der IL erklärte: „Viele Kommunen haben sich zu sicheren Häfen erklärt, es sind Ressourcen und Unterkünfte bereitgestellt. Dennoch tut sich in der Aufnahme und dezentralen Verteilung in Europa über Monate nichts.“

„Infektionsschutz-konforme“ Aktionen

Der Forderung nach Auflösung der Lager und sofortiger Evakuierung der dort zusammengepferchten Menschen sollte mit einer „infektionsschutz-konformen Mitmachaktion“ Nachdruck verliehen werden, wie es auf der facebook-Seite von Seebrücke Darmstadt heißt. Unter Einhaltung des vorgeschriebenen Sicherheitsabstands spazierten so am Sonntag Menschen durch den Herrngarten und die Stadt und trugen auf T-Shirts und Plakaten ihre Forderungen vor. Schließlich wurden im Stadtbild Spuren hinterlassen in Form von aufgehängten Plakaten und Transparenten, durch die Beschriftung von Straßen.  (siehe die Bilder unten)

Doch versuchte die Polizei immer wieder die Aktion zu behindern. Teilnehmerinnen und Teilnehmer beklagen Einschüchterungen und die Androhung von Festnahmen. Im Gegensatz zu anderen Städten blieb es in Darmstadt allerdings nur bei der Androhung. Allerdings seien Personalien aufgenommen und Taschen durchsucht worden, und es wurden Platzverweise ausgesprochen. Wegen angeblicher Verstöße gegen das Kontaktverbot wurden auch Ordnungswidrigkeitsverfahren eingeleitet. Auch „Fridays for Future Darmstadt“ hatte zu der Aktion aufgerufen. Die Gruppe beklagt, dass zwei ihrer Aktivist*innen durch einen Platzverweis daran gehindert wurden einen Videobeitrag zu erstellen. Die solid, Jugendorganisation der Linkspartei kritisierte, dass die Polizei mit Platzverweisen versuchte, die freie Meinungsäußerung einzuschränken.

„Burgfrieden“ ist keine Lösung

Im Laufe der Corona-Pandemie ist der unmittelbare Zugriff des Staates auf die einzelne Person, der Eingriff ins tägliche Leben dramatisch zugespitzt worden. Diese Eingriffe sollen hier nicht in Frage gestellt werden , solange sie einer unkontrollierten Ausbreitung des Virus verhindern helfen. Doch setzt sich damit auch immer stärker der Geist eines Obrigkeitsstaates durch; es wird nicht mehr debattiert, sondern diktiert. Es soll der Eindruck erweckt werden, soziale und politische Gegensätze spielten keine Rolle mehr, der „starke Staat“ würde alles richten. Im ersten Weltkrieg behauptete Kaiser Wilhelm, er kenne keine Parteien mehr, sondern nur noch Deutsche. So gelang es ihm, SPD und Gewerkschaften auf die Unterstützung des Kriegskurses einzustimmen. („Burgfriedenspolitik“)

Doch weder durch Krieg noch durch Corona verschwinden die sozialen Gegensätze, ja zum Teil werden sie noch verschärft. Die Regierenden und die ökonomisch Mächtigen haben weiterhin alle Möglichkeiten, ihre Politik in den Medien darzustellen und ihre Interessen durchzusetzen.  Oppositionelle Kräfte und die weniger privilegierten Teile der Gesellschaft sind jedoch darauf angewiesen, ihre Interessen kollektiv durch Streiks oder Demonstrationen durchzusetzen. Diese Möglichkeiten dürfen sie sich nicht beschneiden lassen. Solche Aktionen sind auch unter Einhaltung der Sicherheitsvorschriften möglich. Die Behinderung solcher Aktionen ist ein Warnsignal für alle, denen daran gelegen ist, auch in diesen Zeiten ihre Meinung öffentlich kund zu tun.

Reinhard Raika
07.04.2020
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