Armut und Reichtum in Darmstadt

Von steigender Armut und Milliardären

„Mit 15,9 Prozent hat die Armutsquote in Deutschland einen historischen Wert erreicht. Es ist die größte gemessene Armut seit der Wiedervereinigung. Über 13 Millionen Menschen sind betroffen.“ So beginnt der kürzlich vorgelegte Armutsbericht 2020 des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes (DPWV). Hessen, das von den Politiker*innen gerne als wohlhabendes Bundesland angesehen wird, hat von allen Bundesländern die höchste Steigerungsrate in der Armutsquote. Sie stieg von 12,0 % im Jahr 2006 auf 16,1% im Jahr 2019. Das ist ein Anstieg um 34,2%. (Als einkommensarm gelten diejenigen Personen, die über ein gesamtes Nettoeinkommen unter 60 Prozent des mittleren Einkommens verfügen).

Neben dem dramatischen Anstieg der Armut in Nordrhein-Westfalen – in Teilen des Ruhrgebiets, in Düsseldorf oder in Siegen sogar um mehr als 40 Prozent – fällt hier vor allem der Süden Hessens mit dem Rhein-Main-Gebiet und der Region um Darmstadt auf.“ Von 2006 bis 2019 stieg in der Region Starkenburg die Armutsquote von 10,5 auf 15,4%, das ist eine Steigerung von 46,7% und damit die zweithöchste im Bundesgebiet nach Düsseldorf und vor Duisburg. Von Armut betroffen sind insbesondere Alleinerziehende, Erwerbslose, Menschen mit niedriger Qualifikation, Familien mit drei oder mehr Kindern, Menschen mit Migrationshintergrund und Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit.

Der DPWV warnt dabei vor falschen Typisierungen. Die Politiker*innen in Darmstadt freuen sich gerne über die Bezeichnung ihrer Stadt als Wissenschaftsstadt – was einen hohen durchschnittlichen Bildungsstand andeuten soll – aber Armut ist nicht nur ein Problem derjenigen mit geringen Bildungsabschlüssen. 62 Prozent der über 25-jährigen Armen verfügen über ein mittleres oder sogar hohes Qualifikationsniveau. Armut ist auch nicht hauptsächlich ein Problem von Migrant*innen, denn die Mehrzahl der Armen (54 Prozent) hat keinen Migrationshintergrund und 73 Prozent der Armen besitzen die deutsche Staatsangehörigkeit.

„Es deutet für uns auch vieles darauf hin, dass sinkende Löhne in Teilen der Wirtschaft, ungesicherte Arbeitsplätze und zunehmende Zeitarbeitsverträge das Überschuldungsrisiko erhöhen“. Hauptursache für die Überschuldung sind die Miet- und Energieschulden. Den Betroffenen drohen der Verlust der Wohnung und/oder Stromsperren. Im Jahr 2017 waren in Hessen 34.351 Stromsperrungen gemeldet.

Altersarmut in Darmstadt

Die Empfänger*innen von Grundsicherung im Alter stiegen in der Stadt und im Landkreis Darmstadt stark an. Waren es 2010 noch 1.579 in der Stadt Darmstadt und 1.501 im Landkreis, so wuchsen sie 2018 auf 2.725 bzw. 2.361 an. „Überschuldung im Alter ist ein zunehmendes Problem“ (aus dem Bericht der Schuldnerberatung Darmstadt 2018). Die Deutschland-Studie des ZDF von 2019 erfasst die Anteile der Senior*innen, die die Grundsicherung für das Alter erhalten. Bei den 401 erfassten Städten und Landkreisen liegen hessische Städte ganz hinten. In Darmstadt erhalten 5,9 % der Senior*innen die Grundsicherung und kommt damit auf den Rang 384 von 401.

Im Jahr 2007 waren 6,2% der Hilfesuchenden der Schuldnerberatung in Darmstadt 65 Jahre und älter. Heute sind es rund 10%. Auch die Zahl der Tafelnutzer steigt in Darmstadt stark an und lag Ende letzten Jahres bei etwa bei etwa 2.300, die für insgesamt fast 4.000 Bedürftige die Lebensmittel mitnehmen. Die Zahl der Rentner*innen, die die Tafel nutzen ist von 2014 auf 2017 stets angestiegen und liegt jetzt bei knapp 400.

Die hessische Landesregierung hat kürzlich Zahlen veröffentlicht, wonach von Altersarmut insbesondere ältere Frauen betroffen sind. 17,9% der Frauen zwischen 70-79 Jahren und 21,7% der Frauen zwischen 80 und 89 Jahren sind von Altersarmut betroffen (jeweils bezogen auf den Landesmedian). Zwar stammt diese Erhebung von 2014, doch dürfte sich inzwischen die Lage weiter verschlimmert haben. Die vergleichbaren Zahlen liegen bei den Männern bei 13,4% und 15,75%.

Corona verschärft die Krise

Die prekär Beschäftigten, wie die Minijobber*innen und Leiharbeiter*innen haben in dieser Krise als erste ihre Jobs verloren. Diese Gruppe mit dem ohnedies geringsten Einkommen treffen die Einkommenseinbußen besonders hart. Die Anzahl der Hartz IV-Empfänger stieg zwischen Februar und Juli 2020 um über 300.000 auf 5,89 Millionen an, um dann im Oktober wieder auf 5,63 Millionen zurück zu gehen. Hart getroffen hat es aber Jugendliche unter 25 Jahren. Der Anteil der arbeitslos Gemeldeten in dieser Gruppe stieg von März bis Oktober 2020 um 23%. „Es gibt also genügend Anzeichen, dass die Corona-Krise auch mit weiter wachsender Ungleichheit und mit einer weiter wachsenden Armut einhergeht. Es spricht vieles dafür, dass der aktuelle Armuts-Rekordwert von 15,9 Prozent in 2019 im Jahr 2020 noch einmal deutlich ansteigen wird“ (Bericht DPWV).

»Wär ich nicht arm, wärst du nicht reich«  (Bertolt Brecht)

Den Club der Reichen führt in Darmstadt die Familie Merck an. Das Gesamtvermögen der Familie, die 70 % der Anteile an der Firma Merck hält, wird auf ca. 30 Mrd. € geschätzt. Dazu zählt eine rund 200-köpfige Familie. Auch die Wella-Erben haben mit dem Verkauf der Firma im Jahr 2004 an Procter & Gamble einen satten Schnitt gemacht, sie erhielten von dem Verkauf rund 3,3 Mrd. €. Die Familien Sander, Ströher, Pohl und Olbricht haben nach einem Bericht des Manager-Magazins ein Vermögen jeweils zwischen 0,7 und 1,2 Mrd. €. Die Familien Gemmer und Klein, Besitzer von der Döhler-Gruppe, kommen auf etwa 1 Mrd. €, Peter Schnell von der Software AG auf 0,9 Mrd. €, Familie Murjahn von Caparol (Ober-Ramstadt) auf 0,4 Mrd. € und Götz Rehn von Alnatura, jetzt ansässig in Darmstadt, auf 0,4 Mrd. €. Etwas abgeschlagen ist der alte Darmstadt-Hessische Adel, Donatus Landgraf von Hessen. Er beherrscht ein vorwiegend aus Immobilien bestehendes Imperium im Wert von 150 Mill. €. Sebastian Vettel aus Heppenheim bringt es auf 200 Mill. €.

 

Quellen:

Gegen Armut hilft Geld. Der Paritätische Armutsbericht 2020

https://www.der-paritaetische.de/publikationen/gegen-armut-hilft-geld-de...

 

Antwort der Landesregierung vom 20.12.2019 auf eine Große Anfrage der LINKEN, Drucksache 20/575

http://starweb.hessen.de/cache/DRS/20/7/01757.pdf

 

 

 

 

Erhard Schleitzer
02.12.2020
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