Keine Zusammenarbeit mit Frontex

Offener Brief des AStA der hd_a und von Seebrücke an die Hochschule Darmstadt

Am 5. Februar veröffentlichte das ZDF Magazin Royale zusammen mit dem Disinfaux Collective und Frag den Staat die Frontex Files, ein inoffizielles Lobby-Transparenzregister der europäischen Grenzschutzagentur Frontex. Daraus wurden verschiedene Informationen publik: Frontex trifft sich seit Jahren unter Ausschluss der Öffentlichkeit mit Lobbyist:innen, vor allem aus der Rüstungsindustrie und das obwohl es bisher keine rechtliche Grundlage für den Besitz von Waffen der „Grenzschützer:innen“ gibt. Bei einem Treffen im Oktober 2019 war auch die Hochschule Darmstadt vertreten.  

Frontex ist die europäische Agentur für Grenz- und Küstenwache. Auf der sogenannten Balkanroute und vor allem auf dem Mittelmeer, in der Ägäis, war Frontex nachweislich an zahlreichen Push-Backs beteiligt. Ein Push-Back ist das illegale Zurückweisen oder Zurückdrängen von fliehenden bzw. migrierenden Menschen an Grenzen. Dass es sich dabei nicht um Einzelfälle, sondern um ein rassistisches System handelt, zeigt auch das kalkulierte Vertuschen dieser Fälle, allen voran durch Frontex-Direktor Fabrice Leggeri, der spätestens seit Frühjahr 2020 von den Push-Backs seiner Behörde wusste. Entsprechend der gesetzlichen Grundlage, Frontex-Aktivitäten bei Menschenrechtsverletzungen an den EU-Außengrenzen sofort einzustellen, hätte er die Missionen längst beenden müssen.  

Weder die deutsche Regierung - immerhin wird Frontex vor Ort auch durch die Bundespolizei unterstützt - noch die EU sehen sich gezwungen zu handeln. So verübt Frontex nach wie vor und im staatlichen Auftrag weiter Menschenrechtsverletzungen an deneuropäischen Außengrenzen. Nach eigenen Angaben ist sie sogar die am schnellsten wachsende Agentur der EU.  

Als angebliche Sicherheitsbehörde ist Frontex selbstverständlich besonders für die Großen der Rüstungsindustrie attraktiv: Glock, Airbus, Heckler & Koch usw. Die Frontex Files veröffentlichen Dokumente von 16 Lobby-Treffen von Frontex in den Jahren 2017 bis 2019. Eines davon fand am 9. und 10. Oktober 2019 in Warschau statt unter dem Titel „International Conference on Biometrics for Borders (ICBB)“. Laut Teilnehmer:innen-Liste waren auch mehrere Vertreter:innen der Hochschule Darmstadt anwesend und an derKonferenz in Form von zwei Publikationen inhaltlich mitbeteiligt.  

Professor Dr. Christoph Busch vom Fachbereich Informatik der h_da und Leiter der an der h_da beheimateten Forschungsgruppe da/sec präsentierte dabei den Vortrag „The Challenge of Morphing for Border Control". Auch im Dezember 2020 beteiligte er sich erneut an der Konferenz in Form eines Vortrags.  Beim sogenannten Morphing handelt es sich um das Zusammenführen von zwei Bildern zu einem einzigen, welches dann beide Eigenschaften der vorherigen Bilder aufweist. Automatische Personalausweiskontrollsysteme können mit gemorphten Passbildern dahingehend überwunden werden, als dass ein Personalausweis so von zwei Personen genutzt werden kann. Frontex fürchtet dadurch mehr sogenannte "illegale" Einwanderung.  

Was Frontex dabei nicht interessiert, ist, dass Menschen sich ihren Pass nicht aussuchen können. Es ist keine Leistung, in Deutschland oder Europa geboren zu sein. Menschen, die fliehen müssen, haben dafür sehr gute Gründe und sind keineswegs illegal, sondern haben einen menschenrechtlich geschützten Anspruch auf Asyl. Flucht ist kein Verbrechen - Fliehende zurückzuweisen, dagegen schon!

Wir verurteilen jegliche Zusammenarbeit mit Institutionen wie Frontex, die systematisch Menschenrechtsbrüche verüben. Bereits im März 2020 dokumentierten Alarmphone und mare liberum mehrere Fälle, in denen Frontex und die griechische Küstenwache nicht ihrer Verpflichtung zur Seenotrettung (im Fall von Seenotrettungsfällen) nachkamen. Dennoch kam es im Dezember erneut zu einer Zusammenarbeit zwischen h_da und Frontex.

Frontex sollte keinerlei wissenschaftliche Unterstützung durch Hochschulen erhalten, die sich der Wissenschaft und nicht dem europäischen Abschottungsregime verschrieben haben.  

Wir erwarten, dass weder die Hochschule Darmstadt noch sonst irgendeine wissenschaftliche Einrichtung ihre Forschungsarbeit für eine rassistische und verbrecherische Abschottungspolitik zur Verfügung stellt. Eine Agentur wie Frontex zeigt auf menschenverachtendste Weise wie rechte Gewalt und Rassismus institutionell gestützt werden.

Was es wirklich braucht sind:→ Fähren statt Frontex!→ sichere und legale Fluchtwege!  → ein Ende der mörderischen EU-Abschottungspolitik!

Die Hochschule Darmstadt hat auf ihrer Internetseite bereits eine Stellungnahme zu den Frontex Files und ihrer Zusammenarbeit mit Frontex veröffentlicht. Mit dem, was darin zu lesen ist, hat sie es allerdings nicht nur verpasst Haltung zu zeigen. Sie relativiert auch die durch nichts zu rechtfertigende Zusammenarbeit mit einer menschenrechtsverletzenden Agentur wie Frontex.  

Wir erwarten von der h_da, dass sie die mehrfach belegten Push-Backs durch Frontex nicht einfach als „alarmierend" einstufen, sondern als das bewerten, was sie sind: Ein brutaler Akt rassistischer Abschottungspolitik.  

Wir fragen uns, wie an der h_da davon ausgegangen werden kann, dass durch ihre Beteiligung „die politischen Entscheidungen zum Einsatz geeigneter technischer Mittel [...] profitieren werden", wo sie ihre Forschung doch einer intransparenten, rassistisch und skrupellos handelnden Behörde zur Verfügung stellen.  

Außerdem ist ein Setzen darauf, „dass die Aufsichtsorgane der EU diesen Vorwürfen mit der gebotenen Dringlichkeit nachgehen" werden, absurd, wo sie es doch bis heute nicht getan haben, obgleich die Vergehen von Frontex seit langem dokumentiert sind. Die Hochschule ist durchaus in der Lage, Entscheidungen unabhängig zu treffen und ihre Schlüsse zu ziehen, die hier nur ein sofortiger Stopp der Zusammenarbeit bedeuten können.

Die h_da schreibt: „Gute Lösungen für Praxisprobleme sind zu erwarten, wenn beispielsweise technisch-naturwissenschaftliche, soziale, datenschutzrechtliche und ethische Betrachtungsweisen zusammengeführt werden." Wir aber sagen: Gute Lösungen sind solidarische Lösungen. Und wer meint, diese können mit Frontex entwickelt werden, hat anscheinend noch nicht begriffen, dass die europäische Abschottungspolitik tötet. Statt sie wissenschaftlich zu unterstützen, müssen wir sie überwinden. 

Deshalb fordern wir die Hochschule Darmstadt auf, wirklich Stellung zu beziehen und jegliche Zusammenarbeit von Beschäftigten der Hochschule mit Frontex unverzüglich einzustellen!

Für solidarische Hochschulen!

AStA hd_a und Seebrücke
15.02.2021
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