Coronakrise: Frauen verschärft betroffen

Das Südhessische Bündnis gegen die Altersarmut von Frauen fordert Maßnahmen für mehr soziale Gerechtigkeit

Pressemittteilung: „Aufzeigen was passiert, wenn nichts passiert“. Mit diesem Anspruch ist im März 2018 das südhessische Bündnis gegen die Altersarmut von Frauen angetreten. Die Bündnismitglieder haben sich zum Ziel gesetzt, die Altersarmut von Frauen zu thematisieren und sich für eine nachhaltige Verbesserung der Einkommenssituation von Frauen und für ein würdiges Auskommen im Alter einzusetzen. Heute, nachdem uns die Auswirkungen der Coronakrise insbesondere auf die Existenzsicherung von Frauen bereits schon über 10 Monate beschäftigen, sehen sich die Aktiven des Bündnisses bestätigt. Ihre persönlichen „Corona-Erfahrungen“ als Sozialberaterinnen, Frauenweiterbildnerinnen, Frauen – und Gleichstellungsbeauftragte, Gewerkschafter*innen oder einfach nur als Beschäftigte verdeutlichten sehr schnell: geschlechtsspezifische Arbeitsteilung und strukturelle Benachteiligung von Frauen – Hauptursachen der Altersarmut von Frauen - entwickelten und entwickeln unter den Bedingungen des Corona-Lockdowns eine besondere Dynamik. Im Folgenden ein paar Schlaglichter.

Die Beratungsstellen haben ihr Angebot auf telefonische oder digitale Beratungen umgestellt. Das bedeutet einen erschwerten Zugang für Ratsuchende mit Verständigungsproblemen, wie zum Beispiel Geflüchtete oder Menschen mit wenig Übung im Schriftlichen. Für diese Zielgruppe ist eine Face-to-Face-Beratung mehr als notwendig, damit sie nicht auf der Strecke bleiben. Wie unverzichtbar diese Strukturen sind, zeigt sich in der Vielfältigkeit des Beratungsbedarfes von Antragshilfen bis zur Weiterbildungsberatung. Es ist wichtig, hier Alternativen anzubieten, die die Menschen auch tatsächlich erreichen.

Ein großes Thema: Kurzarbeit und Wegfall der Minijobs hat viele Menschen in finanzielle Notlagen gebracht. Zwar sind nach eigenen Erhebungen Männer und Frauen durch Kurzarbeit zahlenmäßig gleichermaßen betroffen, allerdings dürften Frauen wegen des bestehenden Einkommensunterschieds finanziell stärker belastet sein. Hier wirkt sich das oft kritisierte Ehegattensplitting wieder negativ aus: Das Kurzarbeitergeld wird nach dem Nettoeinkommen berechnet, so dass Frauen in Steuerklasse V das Nachsehen haben. Nicht zu vergessen der Einbruch bei den Minijobs: im Juni 2020 ging die Zahl der geringfügig Beschäftigten um 850000 oder zwölf Prozent zurück gegenüber dem Vorjahr (zum Vergleich: sozialversicherungspflichtige Jobs sind im gleichen Zeitraum um 0,2 Prozent zurückgegangen)1 Da Minijobs bei der Kurzarbeitsgeldregelung außen vor bleiben, berührt dies Frauen besonders, stellen sie doch in dieser, nicht nur vom Bündnis kritisierten Beschäftigungsform mit 61 Prozent den deutlich größeren Anteil an allen Minijobber*innen2.

Kurzarbeit und Beschäftigungsverlust auf der einen Seite, Stress und Überbeanspruchung auf der anderen, vor allem in den frauentypischen Berufsfeldern des Gesundheitswesen und des Einzelhandels. Gerade deshalb ist die Erkenntnis der Systemrelevanz dieser Berufsfelder in den Augen derjenigen, die sich seit mehr als 30 Jahren für eine entsprechende gesellschaftliche und finanzielle Aufwertung eingesetzt haben, erfreulich. Aber es darf nicht beim Beifallklatschen und dem Verkünden schöner Worte stehen bleiben. Leider ändern die von der Bundesregierung auf Vorschlag der Klinikträger und Krankenkassen beschlossene Sonderzahlung für die Beschäftigten der Krankenhäuser nichts an der strukturellen Misere der Pflegeberufe, zumal diese nur ca. einem Drittel der Krankenhäuser zugutekommen sollen. Von den 440.000 Pflegekräften werden lediglich rund 100.000 einen Bonus erhalten. Auch bei den Berufsgruppen außerhalb der Pflege wie z. B. bei Reinigungskräften und Laborbeschäftigten ist regelhaft keine Prämie vorgesehen. Dies ist das Gegenteil von Wertschätzung.

Zu der fehlenden finanziellen Wertschätzung kommen belastende Arbeitsbedingungen sowie ein bei weitem nicht ausreichender Personalschlüssel hinzu. Laut einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung vom November 2018 müssen Krankenpfleger*innen in Deutschland im Schnitt 13 Patienten betreuen. In der Schweiz kommen dagegen nur rund acht Patient*innen auf eine Pflegekraft, in den Niederlanden 6,9 und in den USA sogar nur 5,33.

Auch die Entwicklungen im Bereich der Digitalisierung konnte von den Bündnisaktiven mit eigenen Erfahrungen belegt werden. Zusammengefasst unter dem Begriff des Digital Gender Gaps hat sich gerade hier gezeigt, wie traditionelle Strukturen wieder lebendig werden können. Stichworte sind Home-Office und Home-Learning besonders unter den Bedingungen geschlossener Schulen und Kindertagesstätten. Welche Herausforderung dies vor allem für Mütter bedeutet, zeigen u. a. folgende Fakten. Bei Schließung der KiTas und Schulen übernahmen die Frauen den größeren Anteil der anfallenden zusätzlichen Betreuung: Die Kinderbetreuungszeiten von Müttern erhöhten sich von 5 auf 8 Stunden, die der Väter von 2 auf 4 Stunden. Eine weitere Studie zeigt außerdem, dass Personen, die Kinder betreuten, häufiger zu anderen Zeiten arbeiteten und ihre Arbeit verglichen mit Personen ohne Betreuungsaufgaben als weniger effizient sahen4. Weniger bekannt sind vielleicht die heimlichen innerfamiliären Zugangsregeln zu den digitalen Medien in Familien, die nicht über ausreichend digitale Endgeräte verfügen, von denen die Weiterbildnerinnen berichten konnten. Erst die Kinder, dann der Vater und abends dann die Mutter, wodurch eigenes Lernen und Arbeiten erschwert wurde.

Die flächendeckende Ausstattung von Schülerinnen und Schülern mit digitalen (Leih-)Geräten ist dringend geboten, gleiches gilt für die Teilnehmerinnen an beschäftigungsfördernden Maßnahmen für Frauen und Mädchen. Der Zugang zum Internet ist mittlerweile essentiell zur Sicherung der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Politik sollte es sich zur Aufgabe machen, den freien Zugang als Beitrag zur Daseinsvorsorge zu sichern. Auch sollte die Anschaffung eines Computers zur Grundsicherung gehören.

Corona verschärft die bereits davor bestehenden Ungleichheiten zwischen Männern und Frauen hinsichtlich gesellschaftlicher Teilhabe und Existenzsicherung. Wie durch ein Brennglas werden so die Ungleichheiten auch deutlicher sichtbar und konkret erfahrbar. Hier gilt es anzusetzen und die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen. Das Südhessische Bündnis gegen Altersarmut von Frauen sieht sich deshalb in seinen Forderungen bestätigt:

  • Entgeltgleichheit
  • die Aufwertung der klassischen Frauenberufe durch bessere Bezahlung und bessere Arbeitsbedingungen
  • gesetzliche Maßnahmen zur Eindämmung des Niedriglohnsektors
  • Abschaffung der Minijobs / Sozialversicherungspflicht ab dem ersten EURO eine deutliche Erhöhung des Mindestlohnes
  • eine geschlechtergerechte Verteilung von Sorge-und Erwerbsarbeit
  • das Rückkehrrecht von Teilzeit auf Vollzeit
  • die Abschaffung steuerlicher Fehlanreize wie z.B. das Ehegattensplitting

1 Quelle: DIW Wochenbericht 45 / 2020

2 Quelle: Hobler, Dietmar / Pfahl, Svenja / Schubert, Lisa (2020): Minijobs als Nebentätigkeit 2004–2019. In: WSI GenderDatenPortal

3 https://de.statista.com/infografik/16676/patientenzahl-pro-pflegekraft-i...

4 Ergebnisse einer Befragung des Institutes für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB) zur Veränderung des Arbeitsalltages durch Corona

 

Darmstadt, 01.02.2021

 

 

Bündnis gegen Frauenarmut
01.02.2021