Koalitionssondierungen in Darmstadt

Das Soziale (fast) vergessen

„Bündnis 90/Die Grünen, CDU und Volt streben nach intensiven Sondierungsgesprächen eine gemeinsame Koalition an", so die Parteivorsitzenden von Bündnis90/Die Grünen in einer Presseerklärung und stellen ein Sondierungspapier mit folgender Einleitung vor: „Die kommunale Initiative für eines der ambitioniertesten Klimaschutzprogramme in den deutschen Städten, die Sicherung urbaner und regionaler Mobilität, die finanziellen und gesellschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie, der entschlossene Ausbau der sozialen und schulischen Infrastruktur, die Pflege der herausragenden Darmstädter Kultur sowie der Erhalt der ökonomischen Dynamik Darmstadts gilt es zu meistern. Wir sind nach sehr konstruktiven Gesprächen mit der CDU und Volt zur Überzeugung gekommen, dass dies mit dieser nun von uns angestrebten Koalition gelingen kann.“ (s. PDF-Datei in der Anlage)

Das „ambitionierte Klimaschutzprogramm“

In dem „ambitionierten Klimaschutzprogramm“ soll Darmstadt bis 2035 klimaneutral gestaltet werden. Um Zwischenziele umzusetzen sollen 300 Millionen Euro in den nächsten fünf Jahre in die Hand genommen werden. „Kommunalpolitische Entscheidungen sollen zukünftig auch davon abhängig gemacht werden, ob sie mit der Einhaltung des 1,5-Grad-Zieles kompatibel sind. Die Sanierungsquote der Gebäudesanierung bei Gebäuden in städtischer Hand soll erhöht und der Gebäudestandard verbessert werden. Die Realisierung eines autoarmen Bestandquartiers als Pilotprojekt wird angegangen. Das Radwegenetz wird weiter ausgebaut und basierend auf den Vorbereitungen der letzten Jahre zu einem eigenständigen Hauptroutennetz weiterentwickelt werden. Damit streben die Parteien die Umsetzung von Flächengerechtigkeit zwischen Rad,-Fuß- und motorisiertem Individualverkehr an.“ Zur Einführung der Tempo-30-Zonen soll ein Modellprojekt angestoßen werden. Unklar ist in dem Text allerdings, ob es sich bei den veranschlagten 300 Millionen Euro um neue Ausgaben handelt, oder bereits angelaufenen Aktionen damit eingerechnet werden.

Strittige Punkte bei den Verhandlungen herausgenommen

Das Klimaschutzprogramm klingt in der Tat sehr ambitioniert, aber: im Masterplan DA 2030+ setzt Darmstadt auf ungezügeltes Wachstum (184.000 Einwohner*innen im Jahr 2034) und einem übermäßigen Ausbau der Gewerbeflächen. Mit noch so viel „Ambitionen“ können ein Klimaschutzprogramm und der Masterplan 2030+ nicht unter einen Hut gebracht werden – höchstens beides zusammen in einem unverbindlichen Koalitionspapier.

Alle „Aufreger“ im Darmstädter Kommunalwahlkampf sind ausgeblendet. Wie will die zukünftige Koaltion mit den im Masterplan ausgewiesenen neuen „Potentialflächen“ für Wohn- und Gewerbegebiete im Westen Arheilgens (130 ha Ackerfläche) und im Osten Wixhausens (100 ha Ackerfläche) umgehen? Klimafreundlich geht nicht. Was ist mit der Errichtung von der Luxuswohnanlage an dem unbenannten See im Bürgerpark, gegen die sich vehement eine Bürgerinitiative ausspricht? Was ist mit dem geplanten zweiten Aldi-Markt in Arheilgen, der auf einhelligen Widerstand stößt? Was bleibt da von der viel beschworenen Bürgerbeteiligung, insbesondere bei Volt (und vorher bei den Grünen)?

Was bleibt: ein Programm für Besserverdienende

Als letzter und einziger der 9 Sondierungspunkte beschäftigt sich Punkt 9 mit sozialen Themen. „Wir werden die soziale Infrastruktur im Sinne einer umfassenden Teilhabegerechtigkeit in der Stadt sichern und weiterentwickeln. Das Quartiersmanagement und die Schulsozialarbeit werden in den kommenden fünf Jahren verstetigt und weiter ausgebaut.“ Sonst finden sich in der 3-seitigen Presseerklärung der Grünen keine Aussagen zu sozialen Problemen der Stadt Darmstadt. Wie umgehen mit der steigenden Kinder-/Jugendarmut und Altersarmut in Darmstadt? (siehe dazu: www.politnetz-darmstadt.de/politnetz/node/28708 und www.politnetz-darmstadt.de/node/17683)

Was ist mit den unaufhörlich steigenden Mieten? Wie steht die zukünftige Koalition zu einem sozial gestalteten und kostengünstigen ÖPNV? Was ist mit einer finanziellen Aufwertung der sozialen Berufe, insbesondere der Erzieher*innen? Wie lange sollen die Beschäftigten der städtischen Tochterunternehmen wie der SSG (Servicegesellschaft des Klinikums) und dem HeinerLiner auf eine tarifliche Bezahlung warten?

Es hätte Alternativen gegeben. Zu der in Darmstadt geplanten Koalition erklären die „Fridays for Future Darmstadt“:

„Eine Koalition mit der CDU einzugehen, wäre mit das Schlechteste, was man aus diesen brauchbaren Wahlergebnissen machen könnte. Den Pfad, den die grün-schwarze Regierung in den letzten fünf Jahren eingeschlagen hat, ist keinesfalls 1,5°-konfrom und weit weg von unseren Vorstellungen von einer sozialen und ökologischen Stadt. Die Botschaft der Darmstädter*innen war doch auch eigentlich klar: Grün-Schwarz wurde eine deutliche Abfuhr erteilt, die CDU hat wieder stark verloren. Im Gegensatz dazu wurden klimaprogressive Kräfte gestärkt – die von uns vorgeschlagenen Kandidat*innen wurden allesamt hochgewählt. Jetzt gilt es, dass diese klimaprogressiven Kräfte sich verbünden und die CDU in die Opposition schicken.  Für uns als Fridays for Future ist sowieso klar: Auch die neue Regierung werden wir durch unseren Protest vor uns her treiben.“ 

 

 

 

 

 

Erhard Schleitzer
30.04.2021
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