Flucht und Fluchtursachen

Ausstellung und Veranstaltung im Darmstädter Gewerkschaftshaus

Am Abend des 17. Februars wurde im Darmstädter Gewerkschaftshaus die Ausstellung „konsumsplitter“ eröffnet. Sie ist dort noch bis zum 4.März zu sehen. Organisiert wurde dies vom DGB-Stadtverband, dem Projekt creactive art, attac, agis (Antirassistische Gruppe Internationale Solidarität) und Weltladen.

Die Ausstellung „konsumsplitter“ greift verschiedene Aspekte der Auseinandersetzungen um die europäische Migrationspolitik auf. Einen Schwerpunkt bilden 30 Papierarbeiten die in Mischtechnik auf alten Briefumschlägen hergestellt wurden. Thema ist die  globale Konsumgesellschaft: die Auswirkungen von Konsum, Handel und europäischer Handelspolitik auf die Lebensbedingungen in afrikanischen Staaten. Hintergrund ist die Frage nach Fluchtgründen und dem Zusammenhang zu europäischer Politik. Wie aktuell dieses Thema ist, zeigte das große Interesse an der Veranstaltung. Mit über achtzig Besucher_innen war sie außerordentlich gut besucht.

Doro Köhler von agis ging in ihrer Einleitung auf die aktuelle Diskussion zum Thema Flüchtlinge ein. Nach ihrer Ansicht stehen dabei zu sehr die hier zu Tage tretenden Probleme im Vordergrund. Ausgeblendet würden hingegen die Probleme in den Herkunftsländern, welche Menschen zur Flucht veranlassen. Würde dies gemacht, könnte auch deutlich werden, dass Flucht nicht durch repressive Mittel aufgehalten werden kann. Dies habe sich im Sommer letzten Jahres gezeigt, als sich Hunderttausende das Recht auf Migration erkämpft hatten. Die damals weitverbreitete „Willkommenskultur“ sei eine neue Erfahrung gewesen. Momentan werde aber zur Politik der Abschottung zurückgekehrt und in rasendem Tempo die Gesetze verschärft

Die Künstlerin Martina Hammel erklärte an einigen Beispielen ihrer Werke den Zusammenhang zwischen europäischer Wirtschaftspolitik und afrikanischer Not

„In Europa wird gerne Geflügelbrust gegessen und dafür auch ein höherer Preis bezahlt. Der Rest kann für weniger als die Erzeugerkosten verkauft werden. Was auf dem europäischen Markt nicht abzusetzen ist, muss anderweitig verwertet oder entsorgt werden. Aus Europa werden, teils von Steuergeldern subventioniert, Hähnchenreste nach Afrika exportiert. Seit der BSE-Seuche 1996 dürfen Hähnchenreste in Europa nicht mehr zu Tierfutter zermahlen werden. Die Fleischreste werden damit zu „Abfall“ und tiefgekühlt nach Westafrika entsorgt.

Deren Preis liegt dort zu zwei Drittel unter den lokalen Preisen. 2010 wurden 660.000 Tonnen Geflügelreste nach Ghana importiert. Sie zerstörten die lokalen Märkte und ruinierten westafrikanische Kleinbäuerinnen und Kleinbauern. Von fünf Arbeitsplätzen in der Eigenzucht von Hühnern gibt es vier nicht mehr.“

Am Objekt „Tomatenmark“ erläuterte sie das Schicksal der Tomatenbauern Ghanas. Der Export subventionierter Tomaten entzieht den dortigen Tomatenbauern die Lebensgrundlage. Sie fliehen, um sich und ihrer Familie ein Überleben zu sichern nach Europa. In den Tomatenfeldern Apuliens liegt das Ghetto der Ghanaer, die hier als Teil der riesigen Erntekolonne für Europas Lebensmittelkonzerne zu niedrigsten Löhnen arbeiten.

Abgerundet wurde der Abend mit einer Informationsveranstaltung „Welthandel und Fluchtursachen“. Referent war Boniface Mabanza. Der gebürtige Kongolese ist Koordinator der Kirchlichen Arbeitstelle Südliches Afrika in der Werkstatt Ökonomie/ Heidelberg.

Er bemängelte, dass in der aktuellen Diskussion im Zusammenhang mir den Themen Fluchtursachen häufig um die Einrichtung von Flüchtlingscamps oder um die Sicherung von Außengrenzen gehe. Dies seien jedoch keine Fluchtursachen. Wer diese suche, müsse auch die wirtschaftliche Situation in den afrikanischen Ländern und die Handelspolitik der EU analysieren.

Die ersten Fluchtbewegungen aus Afrika habe es schon in den 80er Jahren gegeben. Damals hätten Institutionen wie Weltbank und IWF in vielen Ländern des Kontinents „Strukturanpassungsprogramme“ durchgesetzt, um die Verschuldung zurückzufahren. Kürzungen im Gesundheits- und Bildungswesen seien die Folge gewesen. Außerdem wurden viele staatliche Betriebe privatisiert und die Länder sollten Lebensmittel importieren anstatt sie teuer selbst zu produzieren. Schon diese Programme hatten eine Verarmung großer Teile der Bevölkerung zur Folge.

In den 90er Jahren habe es eine zweite Phase der Anpassung der afrikanischen Wirtschaft an die Bedürfnisse der Industriestaaten gegeben. Akteur war die Welthandelsorganisation mit dem Ziel einer Liberalisierung des Welthandels. Liberalisierung habe hier vor allem Abbau von Zöllen und Subventionen bedeutet. Daraufhin seien die Produkte wie Fleisch, Milch und Tomaten der lokalen Produzenten gegenüber den subventionierten Produkten aus Europa nicht mehr konkurrenzfähig gewesen. Viele Menschen sei ihre Lebensgrundlage entzogen worden.

Aktuell steht die EU mit den ehemaligen Kolonien europäischer Länder in Verhandlungen über „Wirtschaftspartnerschaftsabkommen“(WPA). Zum Teil wurden diese bereits abgeschlossen oder sie stehen kurz vor dem Abschluss. Ziel der EU sei die Abschaffung aller Zölle, jetzt nicht nur für Waren, sondern auch für Dienstleistungen. Dies bedeute nicht nur ein weiterer Verlust an Konkurrenzfähigkeit, sondern auch ein erheblicher Verlust an Staatseinnahmen. Auch Exportzölle sollen abgeschafft werden. Damit wollten die afrikanischen Staaten den Export von Rohstoffen erschweren und ihre Verarbeitung im eigenen Land fördern.

Wenn diese Abkommen durchgesetzt werden, würden nach Ansicht von Boniface Mabanza den Menschen die Lebensperspektive genommen und eine neue Flüchtlingswelle hervorgerufen. Allerdings sei es immer nur ein kleiner Teil der von den Maßnahmen betroffenen Menschen, die das Risiko einer Flucht auf sich nehmen. Die Unterscheidung in gute Flüchtlinge (politisch Verfolgte und Kriegsvertriebene) einerseits und „Wirtschaftsflüchtlinge“ andererseits nannte der Referent „scheinheilig“. Mit Blick auf die Wirtschaftsabkommen der EU mit den afrikanischen Staaten sagte er abschließend: Handel kann wie ein Krieg wirken, und wie jeder Krieg produziert er Flüchtlinge“.

Informationen zur Ausstellung: http://www.creactiveart.de/creactive/konsumsplitter/

 

 

Reinhard Raika
20.02.2016
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