"Dritter Weg" oder Tarifvertrag?

Konflikt am Elisabethenstift

Das Darmstädter Krankenhaus "Elisabethenstift" gehört zum Diakonischen Werk in Hessen und Nassau (DWHN). Das bedeutet für die Beschäftigten eine erhebliche Einschränkung ihrer Rechte als Arbeitnehmer_innen. Denn dort gilt ein eigenes "kirchliches Arbeitsrecht". Das bedeutet zum Beispiel, dass es keinen Betriebs- oder Personalrat gibt. Statt dessen gibt es "Mitarbeitervertretungen", die deutlich weniger Rechte haben als die Interessenvertretungen in anderen Betrieben.

"Gott kann man nicht bestreiken!"

Auch Tarifverträge widersprechen dem kirchlichen Arbeitsrecht. Die Arbeitsbedingungen der kirchlich Beschäftigten werden in "Arbeitsrechtlichen Kommissionen" beschlossen. Dies wird kirchenintern als "Dritter Weg" bezeichnet. Dieser soll sich sowohl von der einseitigen Festlegung der Gehälter und Arbeitsbedingungen durch den Arbeitgeber als auch von der gängigen Praxis von Tarifverhandlungen unterscheiden, bei der die Arbeitnehmer_innen die Möglichkeit haben, ihren Forderungen durch Streiks Nachdruck zu verleihen. Es wird das Bild einer "kirchlichen Dienstgemeinschaft" konstruiert, die Arbeitskampfmaßnahmen als Mittel der Konfliktregulierung ausschließt. "Gott kann man nicht bestreiken" ist eine Aussage von Günther Bahrenhoff, Mitglied im Diakonischen Rat des Diakonischen Werkes, bei einem Arbeitsgerichtsprozess um das Streikrecht in kirchlichen Einrichtungen.

Statt in Tarifverhandlungen sollen Lohn- und Arbeitsbedingungen einvernehmlich in einer "Arbeitsrechtlichen Kommission" (ARK) besprochen werden. Die Seite der Arbeitnehmer_innen hat dabei aber keine Möglichkeit Druck auszuüben, da ein Streikrecht nicht vorgesehen ist. Die Gewerkschaft ver.di und andere Verbände haben sich deshalb aus diesen Kommissionen verabschiedet. Ver.di hatte zeitweise in diesem Gremium mitgearbeitet, nachdem das Diakonische Werk Zusagen gemacht hatte, zu echten Tarifverträgen überzugehen. Diese Zusagen wurden aber nicht eingehalten. In der ARK sitzt jedoch weiterhin der "Verband kirchlicher Mitarbeiter" (vkm). Der vkm befürwortet den Dritten Weg und versucht in dessen Rahmen die Interessen der Diakonie-Beschäftigten zu vertreten. Es liegt in der Logik des Dritten Weges, dass er hierbei wenig Erfolg hat. Allerdings hat der vkm in der Diakonie eigentlich zu wenig Mitglieder, um einen Vertreter in die ARK entsenden zu können. Damit das Diakonische Werk aber noch einen Partner hat, mit dem es im Geiste des Dritten Weges verhandeln kann, wurde das Mandat der vkm-Vertreter_innen der Kirchenverwaltung in der ARK kurzerhand auch auf die Diakonie ausgeweitet.

Dritter Weg als Wettbewerbsvorteil

Das Bild der "kirchlichen Dienstgemeinschaft", in der "Dienstgeber" und "Dienstnehmer" dem christlichen Gebot der Nächstenliebe verpflichtet und Streiks deshalb nicht angebracht sind, wird durch die Entwicklung im Sozialbereich jedoch immer stärker in Frage gestellt. Nach einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung hat sich in den letzten Jahren ein grundlegender Wandel bei den gemeinnützigen Wohlfahrtsorganisationen vollzogen. "An die Stelle des klassischen dualen Systems von öffentlichen und freigemeinnützigen Trägern im Sozialsektor tritt so ein Mix von (zahlenmäßig abnehmenden) öffentlichen Trägern, frei-gemeinnützigen und privaten Leistungsanbietern, die in einem Wettbewerb zueinander stehen und um Preise und Qualitäten konkurrieren." (Hans-Böckler-Stiftung: Leiharbeit und Ausgliederung in diakonischen Sozialunternehmen: Der "Dritte Weg" zwischen normativem Anspruch und sozialwirtschaftlicher Realität). Die kirchlichen Arbeitgeber reagieren auf diese Herausforderungen wie private Anbieter auch: Lohnkosten sollen gesenkt werden, Aufgaben werden durch Leiharbeiter ausgeübt oder in Billiglohnbereiche ausgegliedert. Die Diakonie verhält sich in diesem Wettbewerb also wie ein ganz normale Arbeitgeber. Der Dritte Weg mit seinem Streikverbot stellt somit einen Wettbewerbsvorteil dar gegenüber öffentlichen und privaten Konkurrenten – auf Kosten der Beschäftigten.

Ver.di fordert ein Ende des Dritten Weges und die Aufnahme von Tarifverhandlungen mit dem Ziel, die Arbeitszeit und die Bezahlung an den Tarifvertrag Öffentlicher Dienst (TvÖD) anzugleichen. Hatten sich in der Vergangenheit die Regelungen für Beschäftigte kirchlicher Einrichtungen noch weitgehend am ehemaligen Bundesangestelltentarif (BAT) orientiert, so liegen die momentanen Gehälter in der Diakonie im Schnitt zehn Prozent unter denen des Öffentlichen Dienstes; teilweise kann der Abstand aber auch bis zu 25 Prozent betragen, so der bei ver.di-Südhessen für die Kirchen zuständige Gewerkschaftssekretär Armin Löw.

Elisabethenstift: 98 Prozent für Tarifvertrag

Aus diesem Grund wächst in den Belegschaften die Unzufriedenheit mit dem Dritten Weg. Am Elisabethenstift starteten die ver.di-Vertrauensleute eine Umfrage zu diesem Thema. Im Vorfeld versuchte der Arbeitgeber, die Umfrage mittels kirchengerichtlicher Stellen (Schlichtungsstelle) verbieten zu lassen. Dies war jedoch nicht möglich. Gefragt wurde, ob die Arbeitnehmer_innen des "Stifts" mit dem gegenwärtigen Zustand zufrieden sind oder lieber einen von Gewerkschaften ausgehandelten Tarifvertrag hätten. 355 Beschäftigte beteiligten sich an dieser Umfrage. Davon wollten nur sieben das bestehende Verfahren des Dritten Weges beibehalten. Der Rest (98 Prozent) plädierte für einen Tarifvertrag. Viele haben auch ihre Bereitschaft bekundet, zur Durchsetzung dieser Forderung Aktionen von ver.di zu unterstützen.

Aktionen laufen an

Zu einer ersten Aktion kam es am Freitag, den 5.10.2012. Die ver.di-Vertrauensleute riefen zu einer "aktiven Mittagspause" auf, um für einen Tarifvertrag zu demonstrieren. An der Aktion vor dem Krankenhaus nahmen gut 100 Beschäftigte aus allen Arbeitsbereichen und einige Unterstützer aus Darmstädter Betrieben teil. Als Gastredner kritisierten Fabian Rehm, ver.di-Sekretär für Kirchenfragen in Hessen und Erhard Schleitzer, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft der Mitarbeitervertretungen der Diakonie Hessen und Nassau, die schlechten Arbeits- und Verdienstverhältnisse, die durch den sogenannten 3. Weg weiter festgeschrieben werden sollen. Es sei nicht länger hinnehmbar, dass die Kolleginnen und Kollegen über 10% weniger Gehalt bekommen als z. B. im Klinikum Darmstadt. Abhilfe könne letztlich nur ein mit der Gewerkschaft ver.di verhandelter und abgeschlossener Tarifvertrag bringen.

Für das Elisabethenstift wurde mittlerweile eine Tarifkommission gewählt, die Verhandlungen mit dem Arbeitgeber führen soll. Dass sich dieser darauf einlässt ist unwahrscheinlich. Falls Verhandlungen verweigert werden, wollen die Beschäftigten mit weiteren Aktionen für ihre Rechte eintreten und werden schließlich auch zum Mittel des Streiks greifen müssen.

Reinhard Raika
11.10.2012
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