Der Arzt als Geschäftsmann

Wie unsere Gesundheit zur Handelsware gemacht wird.

Eine kleine Geschichte: Frau Kassenpatientin befindet sich auf dem Weg zur Praxis ihres niedergelassenen Augenarztes im Landkreis Darmstadt-Dieburg. Sechs Wochen hat sie auf den Termin gewartet, aber da es sich um keinen Notfall, sondern um eine routinemäßige Untersuchung handelt ist das durchaus akzeptabel für unsere Frau Kassenpatientin (eine Person mit einer wahrhaft stoischen Ruhe). Sie öffnet die Tür und wird beinahe von einer prominent im Eingangsbereich der Praxis positionierten Flip-Chart erschlagen. Verunsichert schiebt sie sich an ihr Richtung Anmeldung vorbei und während sie darauf wartet, dass die Dame am Empfang sie dazu auffordert im Wartezimmer Platz zu nehmen wirft sie ein paar schüchterne Blicke auf die Tafel.

"Haben sie keine Lust auf Wartezimmer? Optimale Behandlung, ohne lange Wartezeiten. Besuchen sie mich in meiner Praxis für Selbstzahler!". Und während den eineinhalb Stunden in denen Frau Kassenpatientin darauf wartet aufgerufen zu werden fragt sie sich ernsthaft, ob sie hier denn nicht optimal behandelt werde.

Seit Jahren brennt nun schon das Schlagwort der "Zwei-Klassen-Medizin", vor allem im Rahmen von Wahlkämpfen, immer wieder heftig auf. Besonders Augenscheinlich wird der wahre Kern in diesem populistischen Rundumschlag auf Krankenkassen, Ärzte, Pharmakonzerne und Politiker wenn es gilt einen Facharzttermin zu bekommen. Oftmals wird man als gesetzlich Versicherter auf mehrere Wochen hin vertröstet und selbst der Hinweis darauf man habe Schmerzen kann das Herz so manch einer Sprechstundenhilfe nicht erweichen. Eine 2011 von den Grünen in NRW initiierte Studie zeigt sehr deutlich wie unterschiedlich verschieden Versicherte Patienten behandelt werden. Durchschnittlich 23 Tage länger wartet ein gesetzlich Versicherter in NRW auf seinen Termin als ein privat Versicherter.

Bisher war es nun so, dass die Ärzte stets zusammen mit der zu Recht entrüsteten Bevölkerung auf die Krankenkassen und ihre mafiösen Strukturen geschimpft haben. Sie seien aus ökonomischen Erwägungen geradezu dazu gezwungen den Privaten Vorzug zu gewähren, während die Gesetzlichen nach einem 5-Minuten-Gespräch mit dem bekannten Spruch "Nehmen sie eine Aspirin und wenn es nicht besser wird, kommen sie morgen wieder" abserviert werden müssten. Dies ist voll und ganz nachvollziehbar. Kein Arzt soll dazu gezwungen sein aufgrund seines humanistischen Auftrages am Ende am Bettelstab zu gehen, nicht zuletzt da er ohnehin nur letztes Glied an einer langen Kette von Entscheidungsträgern ist. Doch offenbar gibt es einzelne Vorreiter in der Ärzteschafft die sich durchaus mit diesen Strukturen arrangieren können und als verkappte Al Capone-Lehrlinge ihre Praxen zu führen wissen.

Eine weitere kleine Geschichte: Unsere liebe Frau Kassenpatientin möchte einen Termin bei einem Orthopäden machen. Ein bekannter empfiehlt ihm eine renommierte Gemeinschaftspraxis in der Darmstädter Innenstadt vor und so schlägt er im Internet auf der Homepage der Praxis nach. Möchte man Kontakt aufnehmen, so werden dort zweierlei Rufnummern angeboten. Eine für gesetzlich Versicherte und eine für privat Versicherte und Selbstzahler. Frau Kassenpatientin, ein ehrlicher Mensch, ruft auf der für sie vorgesehenen Nummer an. Obwohl die Praxis den auf der Homepage angegebenen Öffnungszeiten nach besetzt sein müsste hebt niemand ab. Vermutlich viel zu tun. Ich probiere es später noch einmal, denkt sich unsere Frau Kassenpatientin. Nach drei Tagen endlich gelingt es telefonisch einen Termin zu vereinbaren. Vier Wochen Wartezeit, leider nur vormittags. Sie habe Schmerzen und vormittags müsse sie arbeiten sagt Frau Kassenpatientin. Doch leider scheinen keine anderen Termine frei zu sein. Na gut. Am Abend landet Frau Kassenpatientin durch Zufall erneut auf der Seite der Praxis. Seine Augen fallen auf einen Link der ihm das letzte Mal gar nicht aufgefallen war. "Privatpatienten und Selbstzahlern bieten wir die Möglichkeit sich über unseren Online-Kalender ihre Termine selbst zu wählen." Neugierig geworden klickt er auf den Link und ein kleines Fenster mit einer Kalenderübersicht aller freien Termine erscheint auf dem Bildschirm: Allein nachmittags noch mindestens 30 in den nächsten vier Wochen. Mit der stoischen Ruhe von Frau Kassenpatientin ist es mittlerweile fast zu Ende.

Diese plakativen Beispiele zeigen: Unsere Gesundheit ist zur Handelsware geworden und deshalb liegt der Fokus der Gesundheitsversorgung nicht mehr bei Moral und Ethik sondern vielmehr bei Profit. Viele haben in den letzten Jahren daran mitgearbeitet, dass unser Gesundheitssystem "wirtschaftlicher" wird, dabei leider vergessend, dass eben nicht alles kommerzialisiert werden kann. Darum wird es langsam Zeit, ernsthaft über eine Reform des Gesundheitswesens nachzudenken, die einer solchen Ungleichbehandlung ein Ende machen könnte.

Michael Schiefelbein
03.07.2012
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