Gewerkschaften und Klimabewegung im Bündnis für Gerechtigkeit

Klaus Dörre beschreibt konkrete Wege für eine erfolgreiche sozial-ökologische Transformation

 

 

Professor Dr. Klaus Dörre sprach von einer „ökologisch-ökonomischen Zangenkrise“, die nur durch einen gesellschaftlichen Wandel bewältigt werden könne. Was er darunter versteht, beschrieb Dörre am 18.7.23 bei einem Vortrag in Bensheim, zu dem der DGB-Bergstraße mit Attac Bergstraße und dem Klimabündnis Bergstraße eingeladen hatte. Dörres Antworten auf die Frage „wie bringen wir gute Arbeit, Klimaschutz und Verteilungsgerechtigkeit zusammen?“ klagen zunächst wenig optimistisch. Ohne Energie kein Wachstum, ohne Wachstum kein Wohlstand, diese Formel führe vordergründig zum Umkehrschluss, dass Umwelt und Klima nur geschützt werden können, wenn ein großer Teil der Weltbevölkerung in Armut lebt und damit gezwungenermaßen seinen Energieverbrauch einschränkt.

Dörre zog andere Schlüsse aus seinen Erkenntnissen: Gerade der Teil der Weltbevölkerung, der am wenigsten Schuld trägt am Klimawandel, leide am stärksten unter den Folgen. Dörre geht davon aus, dass zwei Milliarden Menschen ihre Heimat verlassen werden, wenn der Klimawandel nicht gestoppt werden kann. Soziale Gerechtigkeit sei kein Hindernis, sondern die Voraussetzung dafür, dass die Energiewende gelingt.

Dörre ist Professor für Arbeits-, Industrie- und Wirtschaftssoziologie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Er hat sich intensiv mit der Stimmungslage in der Automobilindustrie befasst. In Baunatal (VW) und in Eisenach (Opel) ist er der Frage nachgegangen, warum sogar engagierte Gewerkschafter Sympathien für die AfD zeigen. Solchen Arbeitnehmern hält er entgegen: „Wer bei Wahlen seine Stimme als Denkzettel benutzt, der stärkt die Partei, die ihm am meisten wegnehmen würde“.

Dörre hat bei seinen Forschungen herausgefunden, dass es unter den Beschäftigten in der Autoindustrie scharfe Kritik an der E-Mobilität gibt. Dabei seien diese Menschen durch den Umbau der Autoindustrie nicht von Arbeitslosigkeit bedroht. Den Gewerkschaften rät der Professor, sich mit den Klimaaktivisten zu verbünden, wie es im Kreis Bergstraße bereits geschehen ist. Im gemeinsamen Kampf für einen „ökologischen Wohlfahrtstaat“ könne die Spaltung zwischen Arbeitnehmern und Klimaschützern überwunden werden. Die Menschen müssten sich darauf verlassen können, dass sie bei der angestrebten Entkarbonisierung der Wirtschaft nicht den Job verlieren. Der Staat solle Beschäftigungsgarantien aussprechen wie in den Braunkohlerevieren von Sachsen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg. Dort hat Dörre einen Stimmungswandel erkannt. Zukunftsängste seien geschwunden.

Dörre erwartet vom Staat, dass er regulierend eingreift, wenn gesellschaftlicher Wandel sozial abgefedert werden muss. Auch „Sprunginnovationen“ wie die Wasserstofftechnologie könnten nur dann gelingen, wenn sie - wie es in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder geschehen - vom Staat gefördert werden. Die Bevölkerung müsse durch eine Weiterentwicklung der Demokratie stärkeren Einfluss auf die Wirtschaft gewinnen. Ein „Klima-Transformationsrat“ könnte würde mitentscheiden, wie die Milliarden aus dem „Green Deal“ der EU verteilt werden.

Die Thesen von Professor Dörre lieferten Diskussionsstoff für die 70 Zuhörerinnen und Zuhörer. Dr. Tom Kehrbaum, Zweiter Bevollmächtigter der IG Metall in Darmstadt, sieht in der Individualisierung der Gesellschaft ein Problem für die Gewerkschaften. Überkommene Kampfbegriffe müssten durch neue Formen von sozialem und solidarischem Handeln ersetzt werden. Die Bürger in den hochentwickelten Ländern könnten von den indigene Völker des globalen Südens lernen, wie Mensch und Natur Frieden schließen, sagte Kehrbaum. Ähnlich sah es Michael Ohlemüller von der Katholischen Betriebsseelsorge. „Die Menschen haben es verlernt, sich zu solidarisieren“, sagte er.

Der DGB-Kreisvorsitzende Sven Wingerter moderierte die Diskussion. Er betonte: „Die Globalisierung im neoliberalen Kapitalismus hat soziale Krisen verschärft, Beschäftigte unter Druck gesetzt und neue Verteilungskonflikte ausgelöst. Gleichzeitig hat die Naturzerstörung mit der Intensivierung der Umwelteingriffe und dem Klimawandel eine neue Dimension angenommen“. Gute Arbeit, soziale Gerechtigkeit und eine gesunde Umwelt seien kein Gegensatz. „Sie bedingen einander“, sagte Wingerter. Wenn Klimaschutz erfolgreich sein soll, dürften keine neuen sozialen Ungerechtigkeiten entstehen. „Die Menschen müssen sich den Klimaschutz auch leisten können. Niemand darf abgehängt werden. Für diejenigen, deren Jobs gefährdet sind, muss es neue Perspektiven in guter Arbeit zu ordentlichen Löhnen mit guten Tarifverträgen geben“. Gewerkschaftssekretär Horst Raupp machte deutlich „Die notwendige Transformation darf nicht dem Markt überlassen werden. Sie muss politisch gestaltet werden, sozial, ökologisch und demokratisch.“ Der Kapitalismus mit seinen enormen sozialen und ökologischen Verwüstungen werde immer unverträglicher mit dem Überleben von Mensch und Natur. Raupp betonte deshalb: „Wir müssen die soziale und die ökologische Bewegung zusammenführen und über den Kapitalismus hinausdenken. Der Mensch und das Klima sind wichtiger als Kapital- und Profitinteressen. Eine andere, bessere Welt ist möglich. Und es lohnt sich, dafür zu kämpfen.“

 

DGB Südhessen
01.08.2023