Ein erster Schritt

Eindrücke einer Gewerkschafter-Delegation in Griechenland

Eine Gruppe deutscher Gewerkschafter hat sich in Griechenland ein Bild von der dortigen Situation gemacht. Im DGB-Haus in Darmstadt teilten sie ihre Eindrücke mit.

Es ist Freitagabend um halb acht. Die Veranstaltung an jenem 23. November im Hans-Böckler-Saal des Gewerkschaftshauses in Darmstadt ist gut besucht. Etwa 30 Zuhörer_innen haben sich eingefunden um dem Bericht dreier DGB-Angehöriger zu lauschen, die im September mit einer Gruppe von Journalisten und Gewerkschaftern aus der Schweiz, Österreich und Serbien Griechenland besucht haben. Ziel der Delegation war es, mit eigenen Augen zu sehen, wie es den Menschen dort angesichts der Wirtschaftskrise geht. Dabei reisten sie als Privatpersonen, wie die drei betonen, nicht als Aushängeschilder für Parteien oder sonstige Organisationen.

Andreas vom DGB in Berlin zeichnet ein düsteres Bild von der Lage in Griechenland. Er nennt zunächst Zahlen, die die Zuhörer_innen auch im Internet nachschlagen könnten, wie die Lohnkürzungen um 30 bis 50 und die Erhöhung der Mehrwertsteuer auf 30 Prozent. Was die Anwesenden jedoch nach Luft schnappen lässt sind die Geschichten aus dem derzeitigen griechischen Alltag. „Wir haben mit einem U-Bahn-Arbeiter gesprochen, der vor der Krise 1300 Euro verdient hat und jetzt 800“, erzählt Andreas mit unverkennbarer Berliner Schnauze, „Sein Kühlschrank ist leer, bis auf die Milch für die Kinder. Um sich über Wasser zu halten muss er Freunde und Verwandte anpumpen – und das obwohl er Facharbeiter ist.“ Auch Geschichten über medizinische Noteinrichtungen, in denen Menschen um Essen betteln, erzielen einige Wirkung beim Publikum. „Es sind zum Teil Zustände wie in der dritten Welt“, sagt Andreas.

Den drei Reisenden war vor allem der Kontakt mit griechischen Gewerkschaftern wichtig, mit den Menschen sollte „von Kollege zu Kollege“ gesprochen werden. Was Andreas und seine Mitreisenden Wilfried und Erich von ihren Kollegen erfuhren ist ernüchternd: „Die Gewerkschaften können kaum etwas ausrichten“, räumen die drei ein. Unter der Arbeiterschaft hätten sie kaum noch Einfluss. „Die Dachverbände sind bei den Menschen sehr unbeliebt“, erklärt Wilfried, der bei VW in Salzgitter arbeitet, „Viele nehmen ihnen die Nähe zur Pasok-Partei übel, die sie als mitverantwortlich für die Probleme sehen." An der Misere sei jedoch auch die Troika aus IWF, EU und EZB schuld; ihr Spardiktat verhindere freie Tarifverhandlungen.

Ein weiterer Missstand, den Andreas, Wilfried und Erich ansprechen ist das Erstarken der rechten Szene. Vor der Krise konnten sie magere 0,3 Prozent der Stimmen einfahren, bei der letzten Wahl waren es schon sieben. Aktuelle Umfragen deuten auf doppelt so hohe Werte hin. Rechte Schlägertrupps terrorisieren ausländische Straßenhändler_innen. Die drei Berichterstatter sehen darin einen Versuch der Neonazis, sich bei mittelständischen Kleinhändler_innen anzubiedern. Gleichzeitig versuchen sie, beispielsweise durch kostenlose Essensausgaben an Bedürftige, die Unterschicht für sich zu gewinnen. Die Umfragewerte zeigen, dass diese Strategie Erfolg hat. Andererseits, so berichten die drei, hätten viele Griechen Angst, die Gewalt von rechts könne das Land in einen Bürgerkrieg stürzen.

Nach dem die drei Rückkehrer ihren Bericht abgeschlossen haben, beginnt eine angeregte Diskussion. Die Zuhörer_innen haben viele Fragen. Besonders viel Interesse zieht das linke Bündnis Syriza auf sich und die Frage, was von ihm erwartet werden kann. „Syriza ist schon eine Art Hoffnungsträger“, sagt Erich aus Kassel, „Aber es ist eben ein Bündnis, das sich noch finden muss.“ Eine Sekretärin der Syriza mit der er gesprochen habe, habe ihm gestanden, sie sei froh, dass ihre Partei die Wahlen nicht gewonnen habe – denn auch sie wäre mit den Problemen überfordert gewesen.

Gegen Ende der Diskussion wird der Tenor etwas optimistischer. So sei die Mauer zwischen der kommunistischen und den anderen linken Gewerkschaften brüchiger geworden, was ein erster Schritt zu einem neuen Miteinander gegen die Krise sein könnte. Zudem gibt es Beispiele für Versuche, Selbsthilfe zu organisieren, wie auch die medizinischen Noteinrichtungen zeigen. Die Delegation selbst soll ein erster Schritt in Richtung internationale Solidarität sein. Bereits jetzt gibt es Überlegungen, weitere Reisen nach Griechenland zu organisieren oder Griechische Gewerkschafter nach Deutschland einzuladen – Beispielsweise am 1. Mai. Direkt nach dem Vortrag finden sich einige Zuhörer_innen zusammen, um weitere Möglichkeiten zu besprechen. Vielleicht werden am nächsten europäischen Generalstreik auch deutsche Gewerkschaften teilnehmen.

Konrad Bülow
11.12.2012