Sozialticket gestoppt

Oberbürgermeister straft Opposition ab – und trifft die sozial Schwachen

Es war alles vorbereitet für das Sozialticket der Stadt Darmstadt. Die Sozialdezernentin hatte, nach Diskussion im Sozialausschuss, eine Beschlussvorlage ausgearbeitet, die vom Magistrat unterstützt wurde und die Unterschrift des Oberbürgermeisters trug. Zur Vorbereitung der Stadtverordnetenversammlung am 13.6.2017 wurden den Stadtverordneten die Musterentwürfe für den Gutschein und den Erwerb für einen Berechtigungsnachweis zugesendet. Die Mehrheit in der Stadtverordnetenversammlung schien sicher, denn fast alle Fraktionen waren sich einig, dass die vergünstigte Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs für Sozialhilfeempfänger (SGB I und XII) und Asylbewerber dringend notwendig ist. Denn die Mobilität für diesen Betroffenenkreis ist notwendig für die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und ein Baustein für den sozialen Ausgleich, zu dem die Stadt sich verpflichtet sieht. Kritische Stimmen aus der Opposition hatten bemängelt, dass das Sozialticket beantragt werden muss und nicht automatisch mit der Teilhabecard ausgegeben wird. Außerdem fanden sie die Deckelung der Maßnahme für das laufende Jahr auf 200.000 € fragwürdig. Dennoch hätten sie der Vorlage als Einstieg in ein weitergehendes Konzept zugestimmt.

Nun kam es anders. Die vereinte Opposition hatte vor dem Aufruf des Tagesordnungspunktes Sozialticket den von den Grünen und CDU eingebrachten Antrag zur Erhöhung der Grundsteuer abgelehnt. Auch hierfür gab und gibt es sozialpolitische Gründe.

Und der Oberbürgermeister? Er war nun stocksauer. Nach der Ablehnung des Grundsteuer-Antrags stieg er mit gekränkter Amtsautorität an den Rednerpult und verkündete, die Vorlage zum Sozialticket sei „vorläufig zurückgezogen“. Weil die Opposition die Grundsteuer ablehnt, bekommt sie nun nicht das Sozialticket. Basta. Was das für den betroffenen Personenkreis der Sozialhilfeempfänger bedeutet, das war ihm offenbar egal. Hauptsache die widerspenstige Opposition bekommt eins auf den Deckel.

Die Rede von den „freiwilligen Leistungen“

In seinen Ausführungen hob Oberbürgermeister Partsch darauf ab, dass nun die Stadt alle freiwilligen Leistungen überprüfen müsse. Die Worte, „freiwillige Leistungen, die dem Oberbürgermeister so leicht von den Lippen gingen, bedürfen einer genauen Hinterfragung.

Im Grundgesetz ist das Sozialstaatsgebot verankert. Im Grundgesetz ist festgeschrieben, dass die Bundesrepublik Deutschland ein „sozialer Bundesstaat“ und ein „sozialer Rechtsstaat“ ist. Das Sozialstaatsgebot verpflichtet den Gesetzgeber und die Verwaltung dazu, nach sozialen Gesichtspunkten zu handeln und für einen sozialen Ausgleich zu sorgen.

Für die Kommunen bedeutet das, dass sie im Rahmen der öffentlichen Daseinsvorsorge Infrastrukturmaßnahmen und soziale Maßnahmen für ihre Bürger vornehmen müssen. Dazu gehören u. a. Krankenhäuser, Schulen und Kultureinrichtungen, die Gas-, Wasser-, und Elektrizitätsversorgung, Müllabfuhr, Abwasserbeseitigung , das Verkehrs- und Beförderungswesen,Kosten der Unterkunft (Nach SGB II und XII), Vorhaltung von Kitas,die Jugendhilfe,, Flüchtlingsunterbringung u.ä. Bei Erfüllung all dieser Aufgaben hat die Kommune im Rahmen des Sozialstaatsgebots für einen sozialen Ausgleich zu sorgen. Eine pauschale Streichung von so genannten „freiwilligen Leistungen“ läuft diesem Prinzip zuwider,

Natürlich kann und muss die Kommune im Rahmen ihrer Haushaltsplanung eine Prioritätensetzung und eine Gewichtung vornehmen. Die große Mehrheit der Fraktionen im Stadtparlament hatte sich nach langen und intensiven Verhandlungen auf eine Einführung des Sozialtickets geeinigt oder besser auf einen Einstieg in dieses Modell, mit einer anfänglichen Deckelung von 200.000 €. Ein vergrätzter Oberbürgermeister macht das zunichte - keine Sternstunde des Parlaments.. Das Verhalten des Magistrats zeigt, dass ihm das Sozialticket nicht wirklich wichtig ist, er es anscheinend nur aufgegriffen hat, weil es Druck von unten gegeben hat. Die Vorlage mag nun vom Tisch sein, das Thema Sozialticket aber nicht.

 

Erhard Schleitzer
27.06.2017
Schlagwörter: