ProGenius: Private Berufliche Schulen

Unterricht im Sinne der Unternehmen und auf Kosten der Lehrkräfte

Seit Längerem werden Privatschulen und private Bildungsanbieter nicht nur von der GEW-Hessen und zahlreichen Bildungswissenschaftlern kritisch betrachtet. Denn sie bauen eine Parallelgesellschaft zum staatlichen Bildungssystem auf und tragen zur zunehmenden Privatisierung des Bildungswesens bei. Ein abschreckendes Beispiel, wie dabei auch die beschäftigten Lehrkräfte durch unrechtmäßige Arbeitsverträge und undurchschaubare Gehaltsabrechnungen ausgebeutet werden, stellt der private Bildungsträger „ProGenius“ unter Leitung seines geschäftstüchtigen Gründers Dr. Engel dar. "ProGenius" ist auch in Darmstadt Träger verschiedener Schularten für die berufliche Bildung.

Träger der ProGenius-Schulen ist das Gemeinnützige Institut für Berufsbildung Dr. Engel GmbH (ifb) mit Sitz in Ulm. Der promovierte Betriebswirt und Namensgeber Christian Engel kann dabei auf eine langjährige „Erfolgsgeschichte“ zurückblicken. Seit 1992 betreibt er als staatlich anerkannter gemeinnütziger Schulträger berufliche und allgemeinbildende Schulen in Hessen, Baden-Württemberg und Bayern, die von den Kultusministerien der jeweiligen Bundesländer genehmigt und anerkannt wurden.

Die Schülerzahlen steigen jährlich, regelmäßig kommen neue Standorte hinzu – man expandiert, innoviert und produziert Abschlüsse am laufenden Band.  Im Wettbewerb um Berufsschüler schneiden die ProGenius-Schulen gegenüber der staatlichen Konkurrenz überraschend stark ab, dürfen sie doch deutsche Großunternehmen wie REWE und MERCK, aber auch internationale Konzerne wie Norma oder den Kosmetikhersteller La Biosthétique zu ihren Kunden zählen. Auf der Suche nach dem Grund für diesen enormen Zulauf wird man schnell fündig: Die Beschulung der Auszubildenden kann je nach Bedarf der ausbildenden Betriebe flexibel gestaltet werden. Betriebliches Mitspracherecht bei der Planung der Unterrichtsblöcke? - Gegeben. Flexible Freistellung der Azubis damit sie sich für den Betrieb aufopfern können? - Wird gemacht. Unbequeme oder schwächere Schülerinnen und Schüler beschulen? Die können nach einer Probezeit in Absprache mit dem Arbeitgeber aus der Schule entlassen werden.

Entsprechend glänzend gestalten sich die Bilanzen des gemeinnützigen Schulträgers. Im Geschäftsjahr 2015 erwirtschaftete dieser einen umsatzsteuerfreien Jahresgewinn von fast 2,8 Millionen und verfügte damit über einen Bilanzüberschuss von sage und schreibe 8,6 Millionen Euro.

Doch wie kommen solche Zahlen zustande? Neben der Steuerbefreiung unter dem höchst fragwürdigen Etikett der „Gemeinnützigkeit“, lässt sich der Gewinn vor allem durch die Ausbeutung der eigenen Beschäftigten erklären.

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KAPOVAZ: Kapazitätsorientierte variable Arbeitszeit

KAPOVAZ-Arbeitsverträge sind nur in wenigen Ländern zugelassen, so auch im Rahmen der neoliberalen Umstrukturierung des Arbeitsmarktes in Deutschland. Möglich wird dies durch das Teilzeit- und Befristungsgesetz. Bei diesen Arbeitsverträgen leisten die Beschäftigten, in unserem Fall die Lehrkräfte, „Arbeit auf Abruf“. Dabei wird zur Profitmaximierung das unternehmerische Risiko zum großen Teil auf die Beschäftigten abgewälzt, da nur der Unterricht bezahlt wird, der auch tatsächlich gehalten wird. Damit gehören die ProGenius-Lehrer zu den 1,5 Millionen Menschen in Deutschland für die „Arbeit auf Abruf“ zur Lebenswirklichkeit gehört. KAPOVAZ-Verträge sind somit Beschäftigungsverhältnisse, welche eine solide bzw. verlässliche Lebensplanung nicht möglich machen. Alltags-, geschweige denn Zukunftsplanung ist nicht möglich, Familienleben und Gesundheit der Beschäftigten leiden unter den an sie gestellten extremen Flexibilitätsanforderungen.

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Durch sogenannte „KAPOVAZ-Arbeitsverträge“ (kapazitätsorientierte variable Arbeitszeit) werden die Lehrkräfte nur für die tatsächlich erteilten Unterrichtsstunden bezahlt (siehe Kasten). Was zunächst einleuchtend klingen mag, hat für die Lehrkräfte an der ProGenius jedoch merkbar finanzielle Folgen. Unterricht, der ohne eigenes Verschulden der Lehrkräfte ausfällt, wird nicht vergütet.

Stundenplanmäßiger Unterrichtsausfall aufgrund von Blockunterricht, Schulpraktika, Sporttagen oder das vorzeitige Unterrichtsende bei Abschlussklassen bedeuten jedes Mal Gehaltseinbußen. Das unternehmerische Risiko von ausfallendem Unterricht wird damit auf die Lehrkräfte abgewälzt. In der Praxis wird eine – zynischerweise als „Gehalt“ deklarierte – monatliche Abschlagszahlung geleistet, die dann am Schuljahresende mit den tatsächlich gehaltenen Unterrichtsstunden abgeglichen und nach oben oder unten korrigiert wird. Das kann im Einzelfall zu einer Nachzahlung seitens des Schulträgers führen, viel häufiger jedoch zu einer Rückzahlung seitens der Lehrkräfte.

Dass diese die Ausfallstunden sehr wohl zum Arbeiten nutzen, indem sie in der Zeit anfallende Verwaltungsaufgaben, Korrekturen oder Unterrichtsvorbereitungen erledigen, wird vom Träger eklatant ignoriert.

Im Namen des Volkes - Arbeitsgericht Darmstadt gibt Lehrkräften recht

Seit einiger Zeit nun kommt das Arbeitsgericht in Darmstadt nicht mehr zur Ruhe, denn die Lehrkräfte wehren sich jetzt gegen ihre Arbeitsbedingungen und ziehen vor Gericht. 18 Klagen sind seit Juli 2016 eingereicht worden, hinzu kommen drei Berufungsverfahren vor dem hessischen Landesarbeitsgericht. Und ein Ende scheint nicht in Sicht, denn immer noch treffen neue Klageschriften von aktiven und ehemaligen Lehrkräften der ProGenius-Schulen an den Standorten Darmstadt und Offenbach ein. Hauptklagepunkte sind dabei nicht erfüllte Vergütungsansprüche, unvollständige Gehaltsabrechnungen, verweigerte Arbeitszeugnisse und Verstöße gegen das Vertragsrecht, die nun gegenüber dem privaten Arbeitgeber geltend gemacht werden.

Das Hessische Schulgesetz sieht solche Arbeitsverträge für Lehrkräfte an Ersatzschulen mithin gar nicht vor, da auch Privatschullehrer durch ihre Mitwirkung an staatlich anerkannten Bildungstiteln hoheitliche Aufgaben wahrzunehmen haben. Gemäß § 174 des hessischen Schulgesetzes dürfen Lehrkräfte nur dann beschäftigt werden, wenn „die regelmäßige und Höchstpflichtstundenzahl geregelt ist“ und die Gehälter nicht wesentlich hinter denen von Lehrkräften an öffentlichen Schulen zurückbleiben. Als Maßstab für eine angemessene Unterrichtsverpflichtung gilt die Pflichtstundenverordnung für öffentliche Schulen.

Derweil halten die Staatlichen Schulämter in Darmstadt und Offenbach bürokratischen Winterschlaf. Obwohl dort die KAPOVAZ-Verträge seit langem bekannt sind und die Situation der Lehrkräfte bekannt sein dürfte, schritt die Schulaufsicht nicht ein. Im April versichert das Schulamt Darmstadt auf Nachfrage schriftlich, dass es allen Hinweisen auf mögliche Gefährdungen der wirtschaftlichen und rechtlichen Stellung von Lehrkräften an Privatschulen konsequent nachgehe. Eine schul- und verwaltungsfachliche Überprüfung der Arbeitsverträge von ProGenius durch das Staatliche Schulamt habe keine Zweifel an deren Rechtmäßigkeit ergeben.Das Arbeitsgericht Darmstadt sieht dies jedoch anders. Die klagenden Angestellten und Ehemaligen der ProGenius können endlich erste Erfolge aus den verschiedenen Gerichtsverfahren vorweisen.  Eine Feststellungsklage, zwei Befristungskontrollklagen und drei Zahlungsklagen waren bereits erfolgreich. In zwei weiteren Verfahren zahlte der Schulträger vor der mündlichen Verhandlung freiwillig. Dabei handelt es sich um Summen von bis zu mehr als 5000.-€. Die 9. Kammer des Arbeitsgerichts Darmstadt hat darüber hinaus im Juni geurteilt, dass die KAPOVAZ-Klausel in den Arbeitsverträgen der ProGenius-Lehrkräfte unwirksam sei. Dabei betonte das Gericht, dass gerade die fehlende wirtschaftliche Absicherung und Planungssicherheit zur Nichtigkeit der KAPOVAZ-Klausel führe.

Auf Nachfragen der GEW-Rechtsstelle und eines beteiligten Rechtsanwaltes wagt sich das Schulamt endlich aus der Deckung und erklärte in einem Schreiben, dass man selbstverständlich an der Rechtmäßigkeit der Beschäftigungsverhältnisse bei ProGenius interessiert und bereits aktiv geworden sei. Am 20.07.2017 habe im Schulamt Darmstadt ein Gespräch mit dem Schulträger stattgefunden, bei dem dieser glaubhaft versicherte, allen Lehrkräften neue KAPOVAZ-Arbeitsverträge mit legalen Bandbreiten von beispielsweise 13 bis 16 oder 21 bis 26 Stunden vorzulegen. Zurzeit wird vor dem Arbeitsgericht geprüft, ob nicht auch diese von Dr. Engel erzwungenermaßen „angepassten“ KAPOVAZ-Verträge rechtswidrig sind.

Der Fall ProGenius ist damit für das Schulamt abgehakt - business as usual. Doch den Kollegen und Kolleginnen, die weiterhin an der Schule beschäftigt sind, hilft dieses Lippenbekenntnis nicht weiter, da es als Zustimmung des Hessischen Kultusministeriums zu dieser Form prekärer Beschäftigung gewertet werden kann.

Währenddessen scheint es – mit Ausnahme des Arbeitsgerichts Darmstadt und der GEW -  kaum jemanden zu stören, dass die neoliberalen Umstrukturierungen des Arbeitsmarktes nun auch im Bildungssektor Einzug gehalten haben. Und der gemeinnützige Unternehmer Dr. Engel wird weiter ungestört auf Kosten seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und nicht zuletzt der Steuerzahler an der Maximierung seiner Ge

Klaus Armbruster, GEW Darmsatdt
14.11.2017
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