Am 30.Januar 2013 jährte sich zum achtzigsten Mal die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler. In siehsmaso wollen wir aus diesem Anlass in einer Artikelserie darstellen, wie sich dieser Prozess nicht nur auf der Ebene des Reiches darstellte, sondern auch wie er sich konkret in Darmstadt vollzog. Der zweite Teil beschäftigt sich mit der Zeit zwischen dem 20. Januar und den Reichstagswahlen am 5. März. Die Informationen zu Darmstadt sind dem Buch „Das Jahr 1933. NSDAP-Machtergreifung in Darmstadt und Volksstaat Hessen“ von Henner Pingel, Darmstadt 1978, entnommen.
Bereits weinige Tage nachdem Hindenburg am 30.Januar 1933 Hitler zum Reichskanzler ernannte, setzte die neue Regierung mit der „Verordnung zum Schutz des deutschen Volkes“ wesentliche demokratische Rechte außer Kraft. Die Verordnung vom 4.Februar 1933 erlaubte die Auflösung politischer Versammlungen, „wenn in ihnen Organe, Einrichtungen, Behörden und leitende Beamte beschimpft oder böswillig verächtlich gemacht werden.“ Sie erlaubte auch das Verbot von periodischen Druckschriften, „wenn in ihnen zu einem Generalstreik oder zu einem Streik in einem lebenswichtigen Betrieb aufgefordert wird“.
Die sozialdemokratisch geführte Regierung im Volksstaat Hessen zeigte hier vorausschauenden Gehorsam und Verbot unmittelbar nach dem 30. Januar einen Aufruf der KPD zum Generalstreik. Zwei Personen wurden verhaftet wegen „Beleidigung des Reichskanzlers“. Diese Maßnahmen reichten der faschistischen Regierung in Berlin jedoch nicht aus. Sie entsandte einen Vertreter nach Hessen, der vor Ort die Einhaltung der Verordnung überprüfen sollte.
Wahlkampf unter den Bedingungen wachsender Repression
Neue Reichstagswahlen wurden für den 6.März festgesetzt. Reichspräsident Hindenburg kam einer entsprechenden Forderung der Nazis sofort nach. Die Nazis hofften, dabei die absolute Mehrheit gewinnen zu können. Die Wochen bis dahin waren geprägt von Wahlkampfaktivitäten aller Parteien.
Die „Eiserne Front“, das Bündnis aus SPD, ADGB und dem „Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold“ hielt am 16.Februar 1933 eine Kundgebung auf dem Riegerplatz ab. Nach dem sozialdemokratischen „Hessischen Volksfreund“ beteiligten sich daran 5.000 Menschen. Am 19. Februar nahmen 10.000 Menschen an einem „Kreisaufmarsch“ der „Eisernen Front“ teil. Die SPD-Propaganda betonte immer wieder, den Faschismus „unter Anwendung aller verfassungsgemäßen Mittel“ bekämpfen zu wollen. Dies richtete sich vor allem gegen die Kommunisten und deren Parole vom Generalstreik. Im Wahlaufruf der hessischen SPD hieß es hierzu: „Wir rufen ferner die arbeitende Bevölkerung Hessens auf, sich von keiner Seite in aussichtslose Kämpfe hineinzerren zu lassen, mit eiserner Ruhe, kühler Beherrschung und mit äusserster Disziplin den Kampfparolen zu folgen, wie sie von den zentralen Organisationen der Arbeiterbewegung ausgehen.“
Die KPD rief ebenfalls für den 16. Februar zu einer Veranstaltung in der Woogsturnhalle auf. In Darmstadt gab es aber nach dem 30. Januar keine gemeinsamen Aktionen der beiden Arbeiterparteien. Anders sah es in den umliegenden Gemeinden aus. So bildeten in Grießheim SPD und KPD einen gemeinsamen antifaschistischen Kampfausschuss, der für den 22. Februar zu einer Demonstration aufrief. Etwa 4000 Menschen nahmen daran teil und hörten den Rednern beider Parteien zu, die zur faschistischen Gefahr sprachen. Auch in den damaligen Arbeitergemeinden Pfungstadt, Erzhausen und Wixhausen gab es gemeinsame Aktionen.
Die NSDAP begann ihren Wahlkampf mit einem Auftritt von Prinz August Wilhelm von Preußen, einem Sohn des 1918 abgedankten Kaisers Wilhelm II. Er machte noch einmal deutlich, warum auch Vertreter der alten Eliten sich nun dem Faschismus anschlossen. Er machte klar, dass die Nationalsozialisten „nicht mehr aus der Regierung gehen“ würden. „Denn wer sollte nach ihnen kommen? Alles ist durchprobiert außer dem roten Bolschewismus“. Zwar sei mit der Beschlagnahmung und dem Verbot von Zeitungen schon Einiges erreicht, doch gebe es noch viel zu tun. Das Darmstädter Tagblatt berichtete: „Erst eine Kette sei gefallen, aber die anderen Ketten würden folgen. Die Kette des Klassenkampfes sei gebrochen worden, und mit dem Untergang des Klassenkampfes würde auch der Marxismus sein Ende finden.“ (DT, 17.2.1933) Damit wurde klar gemacht, dass das Ziel der Nazis nicht nur eine Verhinderung des Kommunismus war, sondern auch die Ausschaltung von SPD und Gewerkschaften. „Marxismus“, das war in der Diktion des Faschismus nämlich die Sozialdemokratie.
Die Ausschaltung der Arbeiterbewegung war das zentrale Anliegen, das am Ende der Weimarer Republik die NSDAP, Vertreter des Industriekapitals, Großgrundbesitzer und die ehemaligen Eliten des Kaiserreichs verbanden. In der Tat waren alle vorherigen politischen Konstellationen nicht in der Lage, die Verhältnisse im Sinne der Herrschenden zu stabilisieren. Die Angst der Herrschenden bestand vor allem darin, die Arbeiterbewegung könne sich radikalisieren. Und so wurde die Macht willig an die Nazis übergeben. Dabei waren sie auch bereit, auf direkte politische Mitwirkung zu verzichten, wie dies über die traditionellen bürgerlichen Parteien möglich war. Sie konnten sich aber sicher sein, dass sie im Faschismus ihre ökonomische Macht behalten konnten, da die Nazis das Privateigentum an Produktionsmitteln nicht antasten wollten. Die Nazis warben auf einem Treffen mit führenden Industriellen mit genau diesem Argument: Göring sagte, es ginge aber schließlich darum, »daß mit der bevorstehenden letzten Wahl auch die Chance zur Aufrechterhaltung der Freiheit der Wirtschaft gegeben« sei (junge welt, 20.2.2013).
Reichstagsbrand und Steigerung des Terrors
Der Wahlkampf wurde begleitet von wachsendem Terror der SA gegen ihre politischen Gegner. Am 21. Februar sprengten SA-Leute eine Versammlung der in Darmstadt kleinen katholischen Zentrumspartei, die zusammen mit der SPD an der Landesregierung beteiligt war. In Eberstadt wurden am 20. Februar jüdische Geschäfte zerstört. Übergriffe auf Versammlungen der Arbeiterparteien scheint es zu dieser Zeit noch nicht gegeben zu haben.
Die Angriffe erhielten jedoch eine ganz neue Dimension nach dem Reichstagsbrand am 27. Februar. Für den Brand wurde die KPD verantwortlich gemacht. Fest zu stehen scheint, dass der Niederländer Marinus van der Lubbe den Reichstag anzündete. Dieser hatte früher Kontakte zu holländischen rätekommunistischen Gruppen. Wahrscheinlich wurde er dazu von Provokateuren angestiftet, doch diese Frage ist bis heute nicht geklärt. Auf jeden Fall bot der Reichstagsbrand den Nazis, den gewünschten Vorwand, um das Vorgehen gegen die Opposition zu verschärfen.
Unmittelbar nach dem Reichstagsbrand setzte der Terror gegen die KPD ein. Viele ihrer Mitglieder, aber auch der SPD, wurden verhaftet, Flugblätter beschlagnahmt und Zeitungen verboten. In Ländern in denen die NSDAP nicht an der Regierung beteiligt war, waren vorerst nur die Kommunisten von den Verfolgungen betroffen. Auch in Darmstadt waren KPD-Mitglieder von Hausdurchsuchungen und Vorladungen aufs Polizeirevier betroffen. Am 1.März wurden alle Aktivitäten der KPD, ihres Jugendverbandes und anderer ihr nahestehender Organisationen verboten. Das Parteibüro wurde geschlossen, ebenso ein kommunistischer Buchladen in Arheilgen.
Bei den Sozialdemokraten hatte diese Entwicklung eine noch stärkere Abgrenzung gegenüber kommunistischen Bestrebungen zur Folge. Im „Hessischen Volksfreund“ heißt es dazu: „Zum Verbot der kommunistischen Versammlung (...), das in Hessen auf Befehl der Reichsregierung erfolgen musste, dürfen Angehörige der KPD nicht in geschlossener Form (mit Fahnen und Transparenten) an unseren Versammlungen und Kundgebungen teilnehmen, weil unsere Versammlungen sonst ebenfalls der Auflösung verfallen. Auch kommunistische Redner dürfen infolgedessen nicht auf unseren Versammlungen sprechen.“ (HV 3.3.1933)
Am Vorabend der Reichstagswahl marschierte die NSDAP noch einmal auf dem Marienplatz auf, wo die Teilnehmer einer Rundfunkrede Adolf Hitlers zuhörten. In Griesheim und Ober-Ramstadt gab es Übergriffe der SA mit mehreren Verletzten. In Ober-Ramstadt wurde nachts der Führer des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold von SA-Männern überfallen und durch Messerstiche schwer verletzt. Als sich darauf hin Mitglieder des Reichsbanners versammelten, wurden diese beschossen. Ein SA-Mitglied beschreibt die Situation vor den Wahlen wie folgt: „In der Nacht vom 4. auf den 5.März beherrscht die SA in ganz Hessen die Straße. Wo sich der Gegner zeigt, wird er nach Hause gejagt. Fühlbar begreift es das Gesindel, dass seine Stunde geschlagen hat, und wo früher bei Zusammenstößen die wehrlose SA die Erde mit ihrem Blut netzte, schafft sie heute auf eigene Faust Ruhe. Mutlos sehen die Roten dem Wahltag entgegen. Ihre Führer sind geflohen. Was werden die Nazis mit ihnen anfangen?“ (Moos, SA in Hessen, 1934, zit. nach Henner Pingel, Das Jahr 1933, s.o.)
Die Ergebnisse der Reichstagswahl vom 5.März waren jedoch keineswegs so eindeutig, wie es sich die Nazis erwartet hatte. Darüber und über die weitere Entwicklung werden wir im dritten Teil der Artikelserie berichten.