Plexiglasproduktion von Evonik-Röhm wird verkauft

Finanzinvestoren verwerten Industrieanlagen

Das Werk von Evonik-Röhm in Weiterstadt und Darmstadt wird für 3 Milliarden Euro an den Finanzinvestor Advent verkauft. Betroffen sind hiervon rund 2000 Beschäftigte in Darmstadt, in Weiterstadt, Worms und Hanau. Weltweit werden in der Methacrylat(Plexiglas)-Produktion 3900 Mitarbeiter*innen in 18 Produktionsstätten beschäftigt. Der Umsatz betrug in den letzten Jahren ca. 1,8 Milliarden Euro, der Gewinn vor Steuern und Abschreibungen etwa 350 Millionen Euro. Die Gewerkschaft IGBCE und der Betriebsrat begrüßten die Entscheidung, Evonik-Röhm an den Investor Advent zu verkaufen. Es sei erreicht worden, dass der neue Investor einen Kündigungsschutz bis zum Juni 2023 zusagte, die Tarifbindung und die Betriebsvereinbarungen, wie die zur Altersversorgung, sollen weiter gelten.

Von Röhm & Haas zu Röhm-Evonik

Ältere Darmstädter erinnern sich vielleicht noch an den alten „Rhöm & Haas“, mit einem großen Standort im Industriegebiet von Darmstadt mit damals insgesamt 5000 Beschäftigten. Gegründet wurde das Unternehmen 1907 von dem Chemiker Otto Röhm und dem Kaufmann Otto Haas. Die Familie Haas schied 1971 aus dem Unternehmen aus und es erfolgte die Umbenennung in Röhm GmbH. Die Hüls AG übernahm 1989 die Röhm GmbH und strukturierte sie kräftig um, z. B. wurde die Burnus (burti) GmbH, eine Tochtergesellschaft, verkauft. 1999 wurde die Röhm GmbH von Evonik übernommen, ein Unternehmen der Spezialchemie mit 33.500 Mitarbeiter*innen, und wurde in Rhöm-Evonik umbenannt. Dieses Abfolge von Verkäufen und Umstrukturierungen erfolgte noch in vergleichsweise langen Zeiträumen, an ihnen waren die traditionellen Industrie“kapitalisten“ und produzierende Konzerne beteiligt.

Das Treiben der Private-Equity-Investoren

Evonik hatte vor einem Jahr bereits angekündigt, die Plexiglassparte verkaufen zu wollen. Das führte natürlich zu einer großen Verunsicherung bei den Beschäftigten. Evonik begründete diese Absicht mit dem geplanten Umbau des Konzerns und möchte die Verkaufserlöse für den Erwerb neuer Beteiligungen nutzen.

Der Industriebereich wird heute nicht mehr von den traditionellen „Kapitalisten“ sondern von weltweit agierenden Finanzakteuren beherrscht. Für die Übernahme von Evonik-Rhöm kommen nun vor Allem die so genannten Private-Equity-Investoren (equity bedeutet Unternehmensbeteiligung) in Frage. Die Finanzinvestoren sammeln Kapital von Multimillionären, Milliardären und Unternehmensstiftungen ein und versprechen Renditen von 15-30 %. Die Private-Equity-Investoren verwalten das ihnen anvertraute Kapital treuhänderisch und kaufen davon Unternehmensanteile. Diesen Investoren geht es nicht darum, Unternehmen zu sanieren oder auszuweiden, sondern sie suchen sich die Filetstücke des übernommenen Unternehmens aus und versuchen sie, meistens im Laufe von 2 bis 7 Jahren, auszugliedern, umzubauen und weiter zu verkaufen. Wie entstehen die Gewinne? Natürlich durch den Abbau von Arbeitsplätzen und Lohnkürzungen, durch Verkauf der Grundstücke und Immobilien und mit Hilfe von „Steueroptimierung“ durch Verlagerung des Steuersitzes in eine Finanzoase. Eine weitere perverse Art Gewinne zu machen, ist der Kauf von Unternehmen auf Kredit. Mit ausgeklügelten Finanzoperationen wird der Kredit den gekauften Firmen aufgebürdet, der Käufer ist schuldenfrei und das übernommene Unternehmen muss den Kredit bedienen (bekannt ist der Fall des Sanitärherstellers Grohe).

Der Finanzinvestor Advent

Die Advent International Corporation (Advent) hat ihren Sitz in Boston und wurde 1984 gegründet. Sie verwaltet ein Vermögen von 18 Milliarden Euro und hat bisher in 500 Unternehmen in 35 Ländern investiert, 130 Unternehmen hat sie an die Börse gebracht. In Deutschland war Advent auch am Gesundheitsmarkt aktiv: Advent kaufte 2009 die Median-Kliniken mit 6300 Betten, baute sie aus auf 9500 Betten und verkaufte die Median-Kliniken 2014 gewinnbringend an den nächsten Finanzinvestor Waterland. Auch der Pflegeheimbetreiber Casa Reha war von 2005 bis 2008 in Besitz von Advent (der Pflegeheimbetreiber Casa Reha ist von 1998 bis 2015 viermal von Investorengruppen verkauft worden).

Ein bitterer Erfolg von Betriebsrat und Gewerkschaft

In dieser Situation, die einem Überlebenskampf in einem Haifischbecken gleicht, waren der Betriebsrat und die Gewerkschaft nicht zu beneiden. Der Betrieb sollte verkauft werden, das war klar, und nun musste verhandelt werden, um das Schlimmste zu verhindern. Die Vereinbarungen mit dem neuen Investor, ein Kündigungsschutz bis zum Jahr 2023 , die Fortdauer der Tarifbindung und der Betriebsvereinbarungen sowie die Zusage, 500 Millionen Euro der Pensionsverpflichtungen zu übernehmen, sind realpolitisch gesehen ein Erfolg. Aber es ist dramatisch, wie sich die „Industriekultur“ und die Arbeitsbedingungen ändern, wie Finanzinvestoren mit kurzfristigen (manchmal etwas mittelfristigen) Profitstreben Industriestandorte zerstören, nur um ihre Klienten, die Milliardäre und Multimillionäre, in ihrer Gier nach immer mehr Geld zufrieden zu stellen.

 

 

Erhard Schleitzer
12.03.2019
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