Bürgermeister und Unternehmerverbände unterzeichnen gemeinsam einen offenen Brief

Partsch, Richter, Möller – Komplott für verkaufsoffene Sonntage

Was hat der Darmstädter Oberbürger­meister Jochen Partsch mit den Bür­germeistern Ralf Möller (Weiterstadt) sowie Rolf Richter (Bensheim) gemein­sam? Richtig, ihr Wirkungsfeld liegt in Südhessen. Doch offenbar verbindet alle drei mehr, als ihre unterschiedliche Parteizugehörigkeit – Partsch (Bündnis 90/Die Grünen), Möller (SPD), Richter (CDU) – auf den ersten Blick vermuten lassen könnte. Beispielsweise „lieben“ sie nicht nur den Einzelhandel, sondern vor allem verkaufsoffene Sonntage. Die wünschen sie sich ohne Einschränkun­gen durch Gesetz und Rechtsprechung genehmigen und veranstalten zu können.

Unternehmerverbände spannen Bürgermeister für ihre Interessen ein

Dafür machten sie sich zusammen mit hessischen Unternehmerverbänden stark und unterschrieben am 2. Oktober 2019 neben weiteren 87 Bürgermeistern der Städte und Gemeinden in Hessen einen „Offenen Brief“ an die Abgeordneten des Hessischen Landtags.

Darin sprechen sich Unternehmer und Politiker für „attraktive und leben­dige Zentren“ aus. Mit ihrem angeblich „breit getragenen Appell für einen echten gesetzgeberischen Neuanfang zur Regelung der Sonntagsöffnung“ – immerhin unterzeichneten mehr als 300 hessische Bürgermeister nicht – wollen sie die Landtagsabgeordneten darauf „einstimmen“, sich für die Abschaffung des so genannten „Anlassbezuges“ im Hessischen Ladenöffnungsgesetz (HLöG) zu entscheiden. Mehr noch: Sie möchten verkaufsoffene Sonntage nach eigenem Gutdünken freigeben dürfen und schon deshalb ungeprüft für rechtmäßig erklären lassen, weil sie „der Förderung, Belebung, Entwicklung und dem Erhalt der Innenstädte, Ortskerne sowie der Stadtteil- und der Ortsteilzen­tren“ dienen würden.

Förderung der Vitalität der Innenstädte?

Der „Allianz für den freien Sonntag“ erscheint bereits äußerst fragwürdig, dass die „Erhaltung der Vitalität der In­nenstädte“ von vier Sonntagsöffnungen abhängig sein oder gemacht werden soll. In der Debatte des Hessischen Landtags am 4. September 2019 hat ein Vertreter der CDU-Grünen-Regierungskoalition bereits ausführlich darauf hingewiesen, dies könnten zukünftig nur Städte und Gemeinden „mit hoher Aufenthaltsquali­tät“ garantieren – „und zwar unabhängig davon, ob Läden geöffnet oder geschlos­sen sind“. Hierzu müssten für Besucher/innen „Orte, an denen sich die Men­schen gerne aufhalten und an denen Begegnungen und Austausch möglich sind“, sich vor allem durch attraktive und ausreichende „Sitzmöglichkeiten, Plätze mit Bäumen und Spielmöglich­keiten für unsere Kinder“ auszeichnen. Zudem machte der Abgeordnete darauf aufmerksam, zahlreiche inhabergeführte kleine und mittlere Einzelhändler kämpf­ten „ums wirtschaftliche Überleben“, was „aber nicht in den fehlenden Einkaufs­zeiten“ liege.

Dies scheint der Weiterstädter Bürgermeister Ralf Möller zumindest ansatzweise auch so zu sehen. Denn im „Darmstädter Echo“ vom 12. Oktober 2019 äußerte er sich zu den Gründen, weshalb Metzger und Bäcker, ein Haushaltswarengeschäft und Lebens­mittelmärkte aus dem Zentrum von Weiterstadt verschwunden seien: „In einigen Fällen war es einfach so, dass die Geschäftsinhaber keine Nachfolger gefunden haben.“ Wie unter diesen Um­ständen mehrere verkaufsoffene Sonn­tage zu einer Belebung des Stadtkerns führen sollen, wird Ralf Möller sicher nur schwer nachweisen können. Das war wohl auch die Ursache, weshalb die von ihm noch vor Jahren regelmäßig geplanten Sonntagsöffnungen erst gar nicht in der Innenstadt, sondern „auf der grünen Wiese“, also im und rund ums Einkaufszentrum Loop5 sowie beim Möbelhaus Segmüller stattfinden sollten. Warum der Weiterstädter Bürgermeister sich dennoch dem „Offenen Brief“ der hessischen Unternehmerverbände anschloss, dürfte wie bei Jochen Partsch und Rolf Richter eher nicht an dem „vorgescho­benen“ Argument der Belebung der Innenstädte gelegen haben.

Partsch, Möller, Richter schießen gegen die Gesetzesvorlage von Schwarz-Grün in Hessen

Es darf angenommen werden, dass der dreifache „Sonntagsböller“ der süd­hessischen Bürgermeister vorrangig dazu diente und ermöglichen sollte, den vom Profitinteresse des Einzel­handels getriebenen und motivierten Unternehmerverbänden einen schein­bar „vertrauenserweckenden“ Weg an die Öffentlichkeit und in die Medien zu verschaffen. Offenbar spielt dabei ihre Zugehörigkeit zu CDU, Bündnis 90/Die Grünen und SPD keine Rolle, auch wenn sie sich mit ihrem „Offenen Brief“ direkt gegen die Pläne der Hessischen Landesregierung und der Oppositions­partei SPD im Landtag aussprechen. Andererseits kann den gewieften Kom­munalpolitikern unterstellt werden, dass sie sehr genau wissen, wie wenig vier verkaufsoffene Sonntage zur „Vitalität der Innenstädte“ beitragen können. Wer diese wünscht und wirklich fördern will, der kennt auch die tatsächlich wirksa­men „Stellschrauben“: Attraktive und lebendige Innenstädte und Ortskerne brauchen bezahlbare Mieten für Bürger/innen und inhabergeführte Einzelhänd­ler; erschwingliche Parkgebühren und den Ausbau eines kostengünstigen öf­fentlichen Nahverkehrs, die zum Besuch „einladen“; kulturelle Angebote für Kinder wie Erwachsene, welche die „Einöde“ des bloßen Shop­pings aufbrechen und zum Ver­weilen anregen. Und nicht zuletzt Beschäftigungsverhältnisse im Einzel­handel, die durch sichere Arbeitsplätze, ausreichend und qualifiziertes Verkaufs- wie Beratungspersonal und mindestens tarifvertraglich geregelte Gehälter sowie Arbeitsbedingungen bestimmt werden. Schließlich – und dies wird offenbar auch höchstrichterlich so gesehen und in Entscheidungen über die Recht­mäßigkeit verkaufsoffener Sonntage einbezogen – müssten die derzeit in Hessen nach dem HLöG möglichen werktäglichen Ladenöffnungszeiten deutlich und dauerhaft „zurückgefahren“ werden. Nur dann würden sonntägliche Ladenöffnungen überhaupt eine verlässliche rechtliche Grundlage und wirtschaftliche Berechtigung erhalten, wären sie nicht sowieso längst völlig überflüssig.

Wer definiert das „öffentliche Interesse“?

Vor diesem Hintergrund und angesichts der tatsächlichen Rechtsprechung ist der Entwurf der Landesregierung für die Er­neuerung des HLöG ein wichtiger und richtiger Fingerzeig für alle, die sich bei der Vergabe von Sondergenehmigungen für ver­kaufsoffene Sonntage bislang nur zu gern über Recht und Gesetz hinwegsetzten: Im neuen HLöG sollen Gesetz und Rechtspre­chung übereinstimmen. So muss es auch sein! Demgegenüber sprechen sich die hessischen Unternehmerverbände und ihre Bürgermeister für eine völlig be­dingungslose Freigabe von Sonn­tagsöffnungen aus. Ihr Vorschlag, als einzigen Sachgrund ein nicht näher beschriebenes „öffentliches Interesse“ ins neue Gesetz aufzu­nehmen, macht die Genehmigung verkaufsoffener Sonntage nicht einfacher, sondern enthält ein „Restrisiko“, wie sie selbst zu­geben müssen. Sie provozieren ihrerseits bewusst, dass weiterhin vor Gericht gestritten werden soll, was durch klare Gesetzesvor­gaben aber gerade verhindert werden muss. Die Rechtslage zu Sonntagsöffnungen kann in Hessen nicht eindeutiger sein und wird im Gesetzentwurf nunmehr richtigerweise nachvollzogen. Die „Allianz für den freien Sonntag“ hat sich deshalb gegen solche „Experimente“ ausgesprochen, wie sie die Unternehmerverbän­de vorschlagen, da sie bereits im ähnlich gestalteten Laden­öffnungsgesetz in Nordrhein-Westfalen weitestgehend in eine rechtliche und politische Sackgas­se führten. Dieses Drama kann in Hessen vermieden werden – durch eine kluge Entscheidung im Hessischen Landtag unter An­erkennung und Anwendung der grundlegenden Rechtsprechung.

 

aus: Kuckuck, Information von ver.di Südhessen, Fachbereich Handel, Nr. 131 28. Oktober 2019 (eigene Überschriften)

 

ver.di Südhessen
28.10.2019