Abschlussprüfungen um jeden Preis?

Erklärung der Linksjugend [solid] Darmstadt zur anstehenden Wiederaufnahme des Schulbetriebs

Das derzeitige Schulsystem in Deutschland und vor allem im Bundesland Hessen lässt lediglich diejenigen zu Wort kommen, die davon profitiert haben. Die Vergangenheitsform ist hier bewusst gewählt, da sich aktuell hauptsächlich diejenigen zu Wort melden, die von der derzeitigen Corona-Pandemie und ihren Einschränkungen im Schulbetrieb nicht betroffen sind.

Offene Fragen:

  • Ob SchülerInnen eventuell auch zur Risikogruppe gehören, bzw. deren Familienangehörige, von denen sie sich nicht abschotten können – und dies in der emotionalen und belastenden Zeiten vor Schulabschlüssen auch nicht sollten?
  • Ob SchülerInnen mit dem Online-Unterricht eine Grundlage vorfinden, mit der sie sich bestmöglich auf Abschlussprüfungen vorbereitet sehen?
  • Ob LehrerInnen, die allgemein noch gefährdeter sind als ihre SchülerInnen, sich dem Risiko einer Infektion im Unterricht und in Prüfungen aussetzen wollen?
  • Ob in den Schulen und Klassenräumen überhaupt die notwendige Infrastruktur vorhanden ist, um wenigstens ein Mindestmaß an Infektionsverhütung geschweige denn Abstand einzuhalten?

All diese Fragen werden von offizieller Seite des Kultusministerium nicht gestellt und wollen auch nicht gestellt werden. Hier wird autoritär von oben gesagt, wie es zu laufen hat. Die Wirtschaft muss mit fertig ausgebildetem Humankapital versorgt werden; und zwar unter den gleichen Bedingungen wie all die Jahre zuvor auch. In der aktuellen Bildungspolitik der CDU in Hessen sieht man die selbe Denkweise von PolitikerInnen, die bereits vor Jahren entschied, dass eine verkürzte Schulzeit in Form von G8 durchgesetzt werden muss, obwohl diese an der Bildungsrealität der Schulen vorbeigeht.

Gesundheitliche Risiken für die SchülerInnen

Dass LehrerInnen, SchülerInnen und vorhandene, totgesparte Infrastruktur und Material, den Elfenbeinturmideen von wirtschaftsorientierten PolitikerInnen ratlos gegenüberstehen, war damals der Fall und ist es heute erneut – mit dem Extra, dass ein Scheitern nicht nur das Wiederholen eines Schuljahres, sondern schwerste Krankheit bis hin zum Tod von Familienangehörigen zur Folge hat. Auch wenn die meisten SchülerInnen nicht zur Risikogruppe gehören, so kann ein Krankheitsverlauf dennoch eine immense Schädigung der Lunge nach sich ziehen, mit denen die Betroffenen das restliche Leben lang atmen müssen. Nach einem abgeschlossenen Bildungsweg und einer Lebenserwartung von 89 Jahren in Deutschland bedeutet das 70 Jahre lang mit chronischer Atemwegbeeinträchtigung zu atmen.

Geht es nur um die Vorzeigbarkeit des Hessichen Abiturs?

Es wird immer offensichtlicher, dass sich die PolitikerInnen des hessischen Kultusministeriums mehr um den Ruf und die Vorzeigbarkeit des hessischen Abiturs Sorgen machen, als um die jungen Menschen, denen eine gute und nachhaltige Ausbildung zugesichert werden soll. Unser derzeitiges Schulsystem ist auf die Wirtschaft dieses Landes ausgerichtet, nicht aber auf die Menschen und deren individuelle Zukunft. Bereits durch das Schulsystem wird eine neoliberale Sichtweise des Leben und all seiner Bereiche auf SchülerInnen autoritär aufgepresst – denn welche Möglichkeit der Mitsprache haben SchülerInnen denn? Wir fordern die Absage aller ausstehenden Abschlussprüfungen für das Jahr 2020.

Wir fordern das Fortbestehen aller Schulschließungen, das beinhaltet, Gymnasien, Real-, Haupt- sowie Sonder- und Berufsschulen, zur Sicherheit der Gesundheit aller Beteiligten. Wir fordern ein gerechtes und unkompliziertes System zur Bestimmung von Abschlusszeugnissen auf der Grundlage der bisher erbrachten und eingebrachten Leistungen.

Wir fordern eine längst überfällige Demokratisierung des Schulwesens!

Ihr wollt uns zu mündigen BürgerInnen ausbilden und uns die Grundwerte unserer Verfassung vermitteln, sodass diese Demokratie nachhaltig und von Grund auf gestärkt und gewahrt wird, dann gebt uns auch die Möglichkeit mitzureden und gehört zu werden. Der Wille zur Partizipation ist der erste Schritt in einer Demokratie. Denn wir lassen uns nicht zu treuen, alles-abnickenden BürgerInnen erziehen, für die Demos ein Ausdruck von Unerzogenheit ist. Wir sind die gleichen, die bereits vor dieser Krise freitags auf den Straßen standen und das werden wir wieder tun. Heute mehr denn je lassen wir uns von konservativen und fortschrittsfeindlichen PolitikerInnen nicht unsere Zukunft zum Wohl einer Marktwirtschaft zerstören, die keinerlei Gerechtigkeitsempfinden hat, die den Unterschied zwischen Systemrelevanz und -irrelevanz nicht ziehen kann und die nicht für Menschen, sondern für AktionärInnen ausgebaut ist. Wir werden uns nicht brav in die Reihe eures Humankaptials einsortieren, sondern eure Politik hinterfragen und das ändern, was nicht allen, sondern nur Einzelnen dient. Wir fordern weiterhin die Vereinheitlichung des dreigliedrigen Schulsystems von Gymnasium, Realschule und Hauptschule in die Form von Gesamtschulen in Hessen. Das Stigma von Haupt- und Realschulabschlüssen muss überwunden werden, da sich dies nachhaltig diskriminierend auf die beruflichen Möglichkeiten eines Menschen auswirkt. Ebenfalls fordern wir eine bundesweite Vereinheitlichung des Bildungswesen. Es darf keinen föderalen Wettstreit zwischen den Ländern um die „Produktion von Humankapital“ geben. SchülerInnen sind keine Ware! Sinnvolle Lösungen müssen her Wir fordern, dass hessische und auch alle anderen KultuspolitikerInnen sinnvolle Lösungen für die SchülerInnen und LehrerInnen finden und die Mittel zur Verfügung stellen diese durchzusetzen. Nicht der für die Politik und Wirtschaft einfachste Weg der Krisenbewältigung darf als Maßstab gelten, sondern derjenige der die bestmögliche Lösung für alle Beteiligten darstellt. Krisen werden nur dann zu Chancen, wenn Probleme neu gedacht und alte Denkmuster überwunden werden. Wir fordern, dass ihr euren Job richtig macht, nicht trotz, sondern gerade weil wir SchülerInnen sind. Wir sind nicht euer Humankapital.

 

Zu diesem Thema siehe auch eine Presseerklärung der GEW Hesssen „Schulöffnungen sind an Bedingungen geknüpft“:

https://www.gew-hessen.de/home/details/schuloeffnungen-sind-an-bedingung...

Linksjugend [solid]
22.04.2020
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