„Fridays for Future“ und Auszubildende bei Opel und VW – ein Vergleich ihrer gesellschaftspolitischen Einstellungen

Die Ergebnisse einer Befragung

Luca Karg und Maurice Laßhof von der TU Darmstadt haben in einer Befragung einen Vergleich der politischen Einstellungen von Aktivist*innen der »Fridays for Future« und den Auszubildenden in der Automobilindustrie von Opel Rüsselsheim und VW Kassel-Baunatal vorgenommen. Wir veröffentlichen hier Auszüge aus ihrem Artikel in der ‚jungen Welt‘.

„Gerade Auszubildende der Automobilindustrie sind von tiefen strukturellen Umbrüchen betroffen und befinden sich in einer eigenen, den Arbeits- und Ausbildungsplatz betreffenden Krise. Die klimapolitischen Forderungen von FFF, insbesondere Kritik am Verbrennungsmotor sowie am motorisierten Individualverkehr, betreffen sie ebenso sehr wie die akute (digitale) Transformation der Industrie, verbunden mit der Umstellung auf Elektroantriebe für Kfz, betrieblichen Umstrukturierungen, Auslagerungen und Arbeitsplatzabbau (…) Für die Auszubildenden bei Opel in Rüsselsheim verschärft sich die Krisenerfahrung: Seit der (US-)amerikanische Automobilkonzern General Motors Opel im Jahr 2017 an den französischen Mutterkonzern Group Peugeot Société Anonyme (PSA) verkauft hat, ist der von 1999 bis 2017 rote Zahlen schreibende Automobilhersteller einem bis dato andauernden Sanierungsregime unterworfen. Gab es bei der Übernahme noch rund 19.000 Beschäftigte bei Opel, so haben seit Mitte 2018 6.800 Beschäftigte einem vorzeitigen »sozialverträglichen« Ausstieg zugestimmt.“

Wo sind die Unterschiede, wo sind die Gemeinsamkeiten?

„Schaut man vorerst auf die Altersverteilung der beiden Gruppen, lässt dies eine deutlich jüngere FFF-Sektion erkennen: 24,8 Prozent der Klimademonstrantinnen und -demonstranten sind gegenwärtig unter 18 Jahren, die Auszubildenden dagegen nur zu knapp drei Prozent. Der größte Teil beider Untersuchungsgruppen befindet sich zwischen dem 18. und 21. Lebensjahr (FFF = 37 Prozent, Azubis = 54,6 Prozent). Während an der FFF-Erhebung 56 Prozent Frauen und 44 Prozent Männer teilnahmen, verweisen die Daten der Erhebung im betrieblichen Ausbildungszentrum auf einen klaren Überhang an Männern (74 Prozent, Frauen 26 Prozent). Hinsichtlich des Bildungsstandes ist auffällig, dass die FFF-Demonstrantinnen und -demonstranten aktuell einen insgesamt hohen Bildungsabschluss anstreben: 38 Prozent haben das Abitur im Blick, 35,1 Prozent gehen auf den Bachelor-Abschluss zu. Der höchste zurückliegende Bildungsabschluss der Auszubildenden ist bei 41 Prozent das Abitur, gefolgt von der Mittleren Reife (29,7 Prozent) und der Fachhochschulreife (23,6 Prozent).

Die Auswertung der Frage »Wie wichtig sind Dir folgende Themen?« lässt ein klares Meinungsbild der Befragten erkennen: Die Klimakrise dominiert hierbei freilich die relevanten politischen Topoi der FFF. Aber auch die Auszubildenden sehen in ihr und im anhaltenden gesellschaftlichen Diskurs um die Forderung nach Klimagerechtigkeit einige Bedeutung. Sozialpolitische Themen wie Bildung, Rassismus oder Infrastruktur sind für sie ähnlich zentral. Während die junge Ökologiebewegung also die Klimakrise als eine der komplexesten Krisen der Menschheitsgeschichte skandalisiert, ist deren gesellschaftliche Bearbeitung für die Auszubildenden eine unter vielen wichtigen Aufgaben. Entscheidend ist jedoch die Erkenntnis, dass der Fokus beider Gruppen insgesamt auf denselben politischen Themen liegt: Klimakrise, Bildung, Rassismus, Infrastruktur sowie die Armuts- und Reichtumsverteilung sind Kernthemen ihrer politischen Interessen.

Umweltschutz versus Arbeitsplätze?

Die undifferenzierte mediale Bezugnahme auf die »Klimajugend« suggeriert fälschlicherweise deren Homogenität und verdeckt die Unterschiede zwischen den Interessen der hier untersuchten Gruppen – damit wird v. a. die sozialstrukturelle Gebundenheit ihrer jeweiligen Belange übertönt. Besonders veranschaulichen das die Zustimmungsergebnisse für das Statement: »Umweltschutz ist wichtiger als der Erhalt von Arbeitsplätzen«. Während 33,7 Prozent bzw. 37,2 Prozent der jungen Klimademonstrantinnen und -demonstranten dieser Aussage eher bzw. voll zustimmen, also insgesamt 70,9 Prozent, sind es die Auszubildenden, die sich akut wie künftig von den tiefen strukturellen Umbrüchen einer ökologischen Transformation betroffen sehen: Der hohe Zustimmungswert der mittleren Kategorie »teils/teils« (41,1 Prozent) lässt erkennen, dass die jüngsten Erfahrungen der anhaltenden Transformationskrise in der Automobilindustrie erhebliche Dissonanzen hinsichtlich des als richtig empfundenen Umgangs mit der Klimakrise produzieren (10 Prozent der Azubis stimmen der Aussage voll und 17 Prozent eher zu, 21 Prozent stimmen eher nicht zu). Die Auszubildenden erkennen ihre politische Bedeutung ebenso sehr, wie sie sensibel für die sozialen (oder ganz persönlichen) Folgen einer neuen Klimapolitik sind: Konkret bedeutet das eine Bedrohung ihrer Arbeitsplätze.

Die Abwehr des Klimawandels steht für die FFF-Aktivistinnen und -aktivisten im Vordergrund. Zur Lösung des Problems sehen sie aber andere in der Pflicht, vor allem die Politik. Was für die Auszubildenden perspektivisch notwendig scheint – eine umfängliche soziale Kompensation der ökologischen Transformation –, wird von den Klimademonstrantinnen und -demonstranten zwar zugestanden, jedoch dem Primat der Umsetzung ihrer Klimaforderungen untergeordnet. Nicht zuletzt aus diesem Grund stoßen die Forderungen von FFF bei der Mehrheit der lohnabhängig Beschäftigten nur begrenzt auf Resonanz, teilweise auf Skepsis. Umgekehrt sind auch die Wahrnehmung gewerkschaftlicher Kämpfe und das Verständnis dafür in der jungen Ökologiebewegung weiterhin schwach. Es kann konstatiert werden, dass FFF mitnichten als Stellvertreter politischer Interessen und Forderungen der vermeintlich homogenen Jugend begriffen werden darf. Zwar liegt der Fokus der befragten Jugendgruppen auf den gleichen politischen Themen, jedoch zeigen sich deren Heterogenität und divergierende Interessen am Konfliktherd um Beschäftigungssicherung.“

Ergebnisse der Untersuchung

„Trotz sozialstruktureller Unterschiede und differenter (Klima-)Krisenperzeption verweisen die Erhebungsdaten auf viele Gemeinsamkeiten beider Gruppen. Beide sind an ähnlichen politischen Themen interessiert, äußern hinsichtlich der Klimakrise die gleichen Schuld- und Machtzuschreibungen und weisen die gleichen postdemokratischen Einstellungsmuster auf. Ebenso kann beiden Gruppen ein grundsätzliches Misstrauen gegenüber dem Kapitalismus und die Bereitschaft zu politischem Engagement attestiert werden. Diese Schnittmenge von gleichen oder ähnlichen Wahrnehmungen bietet – unter Voraussetzung gegenseitigen Verständnisses – Anknüpfungspunkte zur Forcierung neuer zivilgesellschaftlicher Machtpotentiale.

Erst eine Allianz aus sozialen Bewegungen im gesellschaftlichen Raum und betrieblich Beschäftigten sowie deren Interessenvertreterinnen und -vertretern ermöglicht die Erschließung von »Kooperationsmacht«⁸. Die FFF-Bewegung hat zwar die Moral und den politischen Diskurs auf ihrer Seite, doch ist sie im Konflikt mit Konzernen um deren beständige Inwertsetzung der Natur und Externalisierung von Kosten auf starke Verbündete im Betrieb angewiesen. Dafür gilt es zu unterstreichen: Die Klimafrage darf nicht auf Kosten der Lohnabhängigen bearbeitet werden. Ebenso benötigen Gewerkschaften in tariflichen Auseinandersetzungen zur Transformation und Sicherung bedrohter Arbeitsplätze und Einkommen gesellschaftlichen Rückhalt: Praktizierte Solidarität von und mit FFF schafft höhere Legitimität von Forderungen nach Arbeitsplatzerhalt und tariflicher Absicherung im gesellschaftlichen Diskurs. Die Klimakrise darf kein Spaltkeil sein, sie ist gesellschaftlicher Imperativ. Ihre nachhaltige Bearbeitung benötigt Solidarität, gemeinsame Konzepte und ausreichend Kooperationsmacht – vor allem im Kontext postdemokratischer Klassenpolitik.“

 

https://www.jungewelt.de/artikel/385553.klimawandel-klimakrise-im-krisen...

Der gesamte Text der Untersuchung ist abgedruckt in ‚Z. Zeitschrift Marxistische Erneuerung‘, Nr. 123, September 2020.

Luca Karg, Maurice Laßhof
14.09.2020