"Ein zweischneidiges Urteil"

Interview mit Alfred Grimm, verdi-Vertrauensmann am Elisabethenstift

Im Oktober 2012 gab es am Elisabethenstift eine „aktive Mittagspause“ als Demonstration für einen Tarifvertrag (Siehsmaso berichtete unter dem Titel „Dritter Weg oder Tarifvertrag“: http://www.politnetz.de/node/78 ). Siehsmaso interviewte Alfred Grimm über die weitere Entwicklung in diesem Konflikt)

Alfred Grimm ist gewerkschaftlicher Vertrauensmann am Elisabethenstift, Vorsitzender des ver.di-Fachbereichs 3 (Gesundheit, soziale Dienste, Wohlfahrt, Kirchen) und außerdem Vorsitzender der Mitarbeitervertretung am Darmstädter Elisabethenstift.

Das Elisabethenstift gehört zum kirchlichen Konzern Agaplesion und zum Diakonischen Werk Hessen-Nassau. Es beschäftigt etwa 800 Menschen.

Siehsmaso:Am 5.Oktober gab es am Elisabethenstift eine „aktive Mittagspause“ als Demonstration für einen Tarifvertrag. Wie werden momentan die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten festgelegt?

Alfred Grimm:Momentan werden die Arbeitsbedingungen weiterhin festgelegt durch die arbeitsrechtliche Kommission des Diakonischen Werkes in Hessen und Nassau, künftig sollen die Arbeitsbedingungen festgelegt werden durch eine neue Arbeitsrechtliche Kommission Hessen, die aber noch zu bilden ist.

Siehsmaso:Wie setzt sich eine solche Arbeitsrechtliche Kommission zusammen?

Alfred Grimm:Die arbeitsrechtliche Kommission setzt sich „paritätisch“ zusammen, zu gleichen Teilen mit Vertretern des „Dienstgebers“ und der „Dienstnehmer“, das heißt so bei der Kirche, die Dienstnehmer sind also Arbeitnehmervertreter, aber das sind keine hauptamtlichen Gewerkschaftsvertreter. Diese „Parität“ ist nur auf dem Papier da,  da die Arbeitgeber natürlich ihren Apparat im Hintergrund haben, mit dem sie Arbeitsrecht vorgestalten können, juristische Prüfungen vornehmen, während die Arbeitnehmer aus verschiedenen Einrichtungen und Mitarbeitervertretungen kommen, wenig juristische Beratung im Hintergrund haben, und das was es im Hintergrund gibt, der juristische Apparat von ver.di hier überhaupt nicht zum Zug kommen kann.

Siehsmaso:Wie werden die Vertreterinnen und Vertreter der Arbeitnehmerseite in die arbeitsrechtliche Kommission gewählt?

Alfred Grimm:Im Moment gibt es so eine Art Entsendung, d.h. die Verbände, also ver.di , der Verband kirchlicher Mitarbeiter (vkm) oder der Marburger Bund könnten theoretisch in die Arbeitsrechtliche Kommission entsenden. Aber alle diese Verbände haben von ihren Entsenderecht keinen Gebrauch gemacht...

Siehsmaso:Auch der vkm nicht?

Alfred Grimm:... der vkm war nicht berechtigt Vertreter in die Kommission zu entsenden, da er zuwenig Mitglieder im Bereich der Diakonie Hessen und Nassau nachweisen konnte. Aber es gab im April vergangenen Jahres eine „rechtsersetzende Verordnung“ des Diakonischen Werkes, dass der vkm für das Diakonische Werk, obwohl er wegen zu geringer Mitgliederzahl nicht entsendeberechtigt ist, aus der Evangelischen Kirche fünf Arbeitnehmervertreter in die Arbeitsrechtliche Kommission delegieren konnte. Damit war die Kommission wieder beschlussfähig.

Siehsmaso:Das heißt es gibt eine arbeitsrechtliche Kommission für die Evangelische Kirche und eine für das Diakonische Werk?

Alfred Grimm:Das wird es geben ab Mai nächsten Jahres,  im Augenblick ist es noch eine gemeinsame Arbeitsrechtliche Kommission für den Bereich der Evangelischen Kirche und des Diakonischen Werks. Die Arbeitgeber sind schon lange dabei das aufspalten zu wollen, weil natürlich die Lohnabschlüsse in der Evangelischen Kirche gesteuert werden über das Kirchensteueraufkommen, was ja relativ klar prognostiziert werden kann, so dass der Haushaltsplan dort zu Grunde gelegt werden. In der Diakonie aber gibt es unterschiedliche Refinanzierungssysteme, also Krankenhäuser, Altenhilfe, Behindertenhilfe, Jugendhilfe und verschiedene Beratungsstellen. Deshalb wollen die diakonischen Arbeitgeber keine Tarifabschlüsse, sondern einzelne Regelungen, je nachdem wie die Einrichtungen finanziell dastehen.  Das heißt, sie wollen über den Dritten Weg Notlagen schon einmal vorfinanzieren. Die Absenkung von Lohntabellen und andere Verschlechterungen soll damit über den Dritten Weg vorgenommen werden. Kampfgebiet ist an der Stelle die Altenhilfe.

Siehsmaso:Wie sind bei Euch die Lohnbedingungen im Verhältnis etwa zum Öffentlichen Dienst?

Alfred Grimm:Einen direkten Vergleich zum Öffentlichen Dienst hat ver.di erstellt. Es ist unterschiedlich bezogen auf die einzelnen Beschäftigtengruppen, da es bei uns ein anderes Eingruppierungssystem gibt als im Öffentlichen Dienst. Aber zum Beispiel bei einer Krankenschwester mit zwanzig Jahren Dienstzeit lag der Lohn etwa zehn Prozent unter dem des Öffentlichen Dienstes. Bei dieser Rechnung sind längere Arbeitszeiten bei der Diakonie berücksichtigt.

Siehsmaso:Wie lautet Eure Forderung?

Alfred Grimm:Ver.di hat den Arbeitgeber „Agaplesion Elisabethenstift“ zu Tarifverhandlungen aufgefordert. Die ver.di-Mitglieder unserer Einrichtung haben sich im September 2012 getroffen und eine Tarifkommission gewählt. Die Forderungen sind die Angleichung der Gehälter und Arbeitszeiten an die Bedingungen des Tarifvertrages im Öffentlichen Dienst.

Siehsmaso:Hat der Arbeitgeber auf Eure Forderung reagiert?

Alfred Grimm:Der Arbeitgeber hat reagiert, wollte aber vor Verhandlungen das Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 20. November 2012 über die Zulässigkeit von Streiks in Kirche und Diakonie abwarten. Nach der Veröffentlichung des Urteils sollte es Vorgespräche auf der Ebene des Konzerns Agaplesion geben, die aber abgesagt wurden. Für das Elisabethenstift gibt es einen Schriftwechsel zwischen ver.di und der Geschäftsführung, die angibt, sie müsse erst noch Prüfungen vornehmen. Ver.di soll erläutern, auf welcher Rechtsgrundlage Tarifverhandlungen aufgenommen werden sollen, es läuft zur Zeit also eine Hinhaltetaktik.

Siehsmaso:Wie ist das Urteil des Bundesarbeitsgerichts einzuschätzen?

Alfred Grimm:Zweischneidig! Da hat das Bundesarbeitsgericht eine klare Entscheidung vermissen lassen. In Abwägung der beiden Grundrechte Koalitionsfreiheit und Streikrecht einerseits und den Selbstverwaltungsmöglichkeiten von kirchlichen Einrichtungen aus dem Artikel 140 des Grundgesetzes andererseits hat das Gericht entschieden, dass die Kirchen den Dritten Weg nutzen dürfen, die Gewerkschaften dürfen aber zum Streik aufrufen, wenn sie den Artikel 140 nicht richtig nutzen. Und da ist jetzt die Frage, „Was heißt richtig nutzen?“ Da hat das Gericht ein paar Schlagworte gebraucht. So soll gesichert sein, dass die Beschlüsse der Arbeitsrechtlichen Kommission in einer Parität zustande kommen und auch verbindlich sind für die entsprechenden Gebiete, also z.B. keine Anwendung von Regelungen aus dem „wilden Osten“ für Niedersachsen. Das soll unterbunden werden. Und es soll gewährleistet sein, dass die Gewerkschaften ihrer koalitionsgemäßen Betätigung in den Einrichtungen nach gehen können. Was das auch immer heißen mag; es ist nicht näher ausgeführt, was das bedeutet. Von Gewerkschaftsseite her gesehen bedeutet „koalitionsgemäße Betätigung“: Ich gehe als Gewerkschaft in eine Einrichtung, versuche ver.di-Mitglieder zu werben, versuche mit ihnen eine aktive Betriebsarbeit zu machen, und das mündet dann in eventuelle Forderungen nach einem Tarifvertrag, die gegebenenfalls unterstützt werden durch Streik.  Nach dem Richterspruch ist die praktische Konkordanz (Übereinstimmung) der beiden Grundrechte, dann hergestellt, wenn sich die Kirche und Diakonie bei der Arbeitsrechtsetzung an bestimmte Regeln halten, dann ist das Streikrecht nicht mehr aktivierbar. Ver.di stellt hier die Frage, wie es möglich sein soll, in der Arbeitsrechtlichen Kommission einen Druck aufzubauen, wenn ein Streik von vornherein ausgeschlossen ist. Das kann nicht sein. Die Spannung ist also auch nach dem Urteil erhalten geblieben.

Siehsmaso:Gibt es aufgrund des Urteils schon konkrete Veränderungen?

Alfred Grimm:Aufgrund des Urteils gibt es noch keine Änderungen. Die Arbeitsrechtliche Kommission hätte bereits Ende September 2012 Beschlüsse haben müssen, da zu diesem Zeitpunkt die Lohntabellen ausgelaufen sind. Seit dem haben die Arbeitnehmer hier auf die Erhöhung der Tabellen gewartet. Es ist am 16. Januar 2013 ein Beschluss erfolgt, dass es für die Mitarbeiter Erhöhungen geben wird.Wie weit der Druck, den wir gemacht haben, dabei eine Rolle gespielt hat ist schwer zu beurteilen. Die Arbeitsrechtliche Kommission wollte sich damit auch selbst erhalten. Wenn sie keinen Abschluss hingekriegt hätten, hätten die Arbeitnehmer gesehen, dass die Arbeitsrechtliche Kommission nicht funktioniert und es wäre schwierig gewesen, im Sommer eine neue Kommission zu bilden. Für 2013 wurde bei der Diakonie eine Lohnerhöhung von 4,1 Prozent vereinbart. Für den Bereich der Kirche gibt es im September eine weitere Lohnerhöhung von drei Prozent, die aber bei der Diakonie nicht umgesetzt wird. Es gibt eine Einmalzahlung von zehn Prozent des Monatslohns und der Urlaub für Beschäftigte unter dreißig wurde angepasst auf dreißig Tage.

Veränderungen gab es auch als Folge eines Artikels in der ZEIT vom 15.11.2012, in dem bundesweit gebrandmarkt wurde, dass es Ausgliederungen mit Lohndumping gab. Parallel zum Erscheinen des Artikels gab es Korrekturen in einigen Einrichtungen, dass ausgegliederte Beschäftigte wieder zurückgeholt wurden in den „Schoss der Diakonie“. Bei uns im Krankenhaus sind zu Anfang diesen Jahres Aushilfskräfte - schwerpunktmäßig aus dem Pflegedienst -, die bei einer Personalservicegesellschaft des Konzerns beschäftigt waren, die weder tarifgebunden noch nach einer kirchengemäßen Regelung entlohnte , zurückgeholt worden in den Bereich des Hauses.

Siehsmaso:Gab es bei Euch nach der aktiven Mittagspause im Oktober 2012 weitere Aktionen?

Alfred Grimm:Nach der aktiven Mittagspause vom Oktober, die für unsere Verhältnisse sehr gut besucht war, hatten wir am 20.11. sozusagen  als Begleitöffentlichkeit des BAG-Urteils in Erfurt eine sehr kurzfristig angesetzte zweite aktive Mittagspause, bei der immerhin noch ca. 50 Mitarbeiter vorm Haus waren

Siehsmaso:Das Ziel des Tarifvertrags bleibt ja bestehen. Habt ihr noch weitere Aktionen geplant, um diese Forderung durchzusetzen?

Alfred Grimm:Wir hatten eine ver.di-Mitgliederversammlung und haben weitere Aktionen geplant und beschlossen. Wir werden innerhalb der nächsten Wochen keine Streikaktionen machen. Wir werden aber auch nicht sagen, dass wir gar nichts machen, nur weil der Konzern oder die Krankenhausleitung Tarifverträge verweigert. Es ist mittlerweile klar gestellt, dass hauptamtliche Gewerkschaftssekretäre Zugang zu kirchlichen Einrichtungen haben können. Darauf wollen wir in nächster Zeit den Schwerpunkt legen. Wir wollen erst mal Hauptamtliche und Belegschaft miteinander warm werden lassen, so was wie ein mobiles ver.di-Büro einrichten, und dann Aktionen machen, die vorbereitend sind für eventuelle Arbeitskampfmaßnahmen. Das Ziel des Tarifvertrags haben wir also nicht aus den Augen verloren und es wird Aktionen geben. Augenblicklich ist es so im Konzern Agaplesion, dass in einer Einrichtung in Bückeburg gestreikt wird mit dem Ziel eines Tarifvertrags. Die Aussage der Konzernleitung und der dortigen Geschäftsleitung ist, dass sie auf keinen Fall vom „Dritten Weg“ abweichen wollen. Die Fronten sind also absolut verhärtet. Das sehen wir auch auf uns zukommen. Aber ohne Kampf kein Gewinn. Bezüglich weiterer Aktionen müsst ihr Euch die Veröffentlichungen von verdi anschauen, die von Fall zu Fall kommen.

Interview mit Alfred Grimm
23.03.2013
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