Aktiv und kreativ im Streik

Bei den Streikenden der Erziehungs- und Sozialberufe

Wer glaubt, ein Streik bestehe darin, die Arbeit nieder-und die Hände in den Schoß zu legen, der wird zur Zeit bei einem Besuch im Darmstädter Gewerkschaftshaus eines Besseren belehrt. Wenn keine zentralen Aktionen anstehen, treffen sich dort täglich die streikenden Erzieher_innen, Sozialarbeiter_innen, Sozialpädagog_innen, Kinderpfleger_innen und Heilpädagog_innen. „Aufwertung jetzt!“ ist die Parole des Streiks.  Die Anerkennung für ständig weiter ansteigende Anforderungen soll auch in der  Bezahlung zum Ausdruck kommen. Ziel ist die Eingruppierung in höhere Gehaltsgruppen für alle diese Berufsgruppen. Nach Angaben der Gewerkschaft ver.di bedeutet dies eine durchschnittliche Anhebung um zehn Prozent. Dafür haben sich die betroffenen ver.di-Mitglieder bundesweit zu 92 Prozent für einen unbefristeten Streik ausgesprochen.

Das Eintragen in die Streikliste ist eine der ersten Tätigkeiten bei den täglichen Zusammenkünften. Doch geht es danach keineswegs nach Hause oder in das nächstgelegene Kaffee. Vielmehr werden dann in Arbeitsgruppen die nächsten Tage vorbereitet. Es werden Vorschläge für Aktionen gesammelt und diskutiert, Materialien für die Öffentlichkeitsarbeit, Plakate und Transparente erstellt. Die Beteiligung an diesen Arbeitsgruppen ist ausgesprochen hoch und es werden viele Ideen eingebracht. Die Öffentlichkeitsarbeit ist in diesem Streik besonders wichtig. Schließlich kann durch diesen Streik kein ökonomischer Druck auf den Arbeitgeber ausgeübt werden. Es entstehen den Kommunen keine Einnahmeverluste. Umso wichtiger ist es, Aktionen durchzuführen, um die Anliegen der Streikenden öffentlich darzulegen und zu erklären.

Die hohe Bereitschaft aktiv für die Forderungen einzutreten zeigt sich so auch an der Vielzahl der öffentlichen Auftritte: Es gab bisher eine Informationsveranstaltung am Luisenplatz, eine lange Demonstration vom Landratsamt in Kranichstein zum Luisenplatz und eine Aktion in den Straßenbahnen, um mit den Fahrgästen ins Gespräch zu kommen. „In der zweiten Streikwoche in Gießen mit 8 500 Kolleginnen und Kollegen unserer Forderung `Aufwertung jetzt‘ Nachdruck zu verleihen, war bis jetzt ein Höhepunkt unseres Streiks.“ sagt Monika Kanzler-Sackreuther, Mitglied der betrieblichen Streikleitung und Sprecherin der Vertrauensleute. „Ein Schwerpunkt unserer Aktionen ist, deutlich zu machen, dass es nicht gegen die Eltern geht, sondern, dass unser gemeinsames Ziel die Qualitätsverbesserung der Arbeit im Sozial- und Erziehungsdienst ist und darüber dem Fachkräftemangel entgegen gewirkt wird. Von den Politikern erwarten wir, dass nicht bei den Sonntagsreden bleibt.“

 

Zur Unterstützung des Streiks wurde auch ein Solidaritätskomitee gegründet. Darin arbeiten zum Beispiel Elternvertreter_innen, Gewerkschafter_Innen aus anderen Bereichen und Mitglieder politischer Parteien, um diesen Arbeitskampf aktiv und solidarisch zu begleiten. Das Solidaritätskomitee appelliert an die Eltern, „ihren Ärger weiter zu geben an die wirklich Verantwortlichen. Der Druck muss dort entstehen, wo er benötigt wird: in den Rathäusern und bei den kommunalen Arbeitsgebern!“. Geplant ist für den 2.Juni ein Solidaritätsfest auf dem Luisenplatz. Auch der DGB-Stadtverband erklärte seine Solidarität. In seiner Erklärung weißt er noch auf einen anderen Aspekt des Streiks hin: „Die überwiegende Mehrheit dieser Beschäftigten ist weiblich, insofern geht es nicht nur um die materielle Anerkennung der in den letzten Jahren deutlich gewachsenen Verantwortung, sondern auch um die tarifliche Aufwertung `klassischer` Frauenberufe.“

„Arbeitgeber müssen Angebot vorlegen“

Monika Kanzler-Sackreuther nimmt die Unterstützung aus der Bevölkerung wahr. „Wir erfahren viel Solidarität in der Öffentlichkeit von Eltern und Politikern, der kommunale  Arbeitgeberverband bewegt sich allerdings nicht. Dies macht immer mehr Kolleginnen und Kollegen wütend und wir richten uns auf einen längeren Streik ein.“ Elternbeirat Friedhelm Remmel fasst die Meinung vieler Eltern wie folgt zusammen. „Es ist dringend Zeit, dass wieder der reguläre Kita-Betrieb beginnt. Für die Kinder bedeutet diese Notbetreuung einen unglaublichen Stress. Das spüren wir Eltern nachmittags und leider auch nachts am Verhalten der Kinder. Übliche pädagogische Maßnahmen und Förderprogramme bleiben im Moment auf der Strecke. Wer hier die Tarifverhandlungen verzögert und Tarifspielchen spielt, bestraft die Schwächsten in unserer Gesellschaft, die, die unsere Zukunft sind - nämlich unsere Kinder!“ Damit muss jetzt endlich Schluss sein, fordert er mit Blick auf die Verweigerungshaltung der Arbeitgeber, überhaupt ein Angebot vorzulegen.

Die Streikenden hoffen, dass die Unterstützung des Streiks durch die Elternschaft auch bei einer Fortsetzung erhalten bleibt. Um einer Verunsicherung entgegenzuwirken, ist die Solidaritätsarbeit dann besonders wichtig.

Reinhard Raika
22.05.2015
Schlagwörter: