Verzweifelter Kampf

Studierende der TU Darmstadt besuchten das palästinensische Dorf Nabi Saleh

Das Dorf Nabi Saleh liegt unweit von Ramallah auf einem Bergkamm. Tagsüber sind die Straßen meist leer. Als der Bus mit Studierenden der TU Darmstadt auf dem Dorfplatz hält, sind nur einige Kinder draußen. Der Besuch in Nabi Saleh, einem Dorf, dessen Bewohner seit einiger Zeit im Konflikt mit den israelischen Behörden liegen, gehört zum Programm einer Exkursion der TU Darmstadt. Ihre Teilnehmer reisen seit zwei Wochen durch Israel und die palästinensischen Gebiete, sie haben mit jüdischen Siedlern auf den Golanhöhen gesprochen und mit Studierenden der Birzeit-Universität in Ramallah. Nabi Saleh ist ihre letzte Station, bevor sie nach Darmstadt zurückkehren. Einige der Kinder begrüßen die Besucher aus Deutschland, ein kleines Mädchen nimmt eine der Studentinnen an der Hand – allerdings nur so lange, bis seine Mutter es wieder ins Haus ruft.

Nach einem kurzen Fußmarsch erreichen die Darmstädter einen kleinen Bungalow am Dorfrand. Hier lebt Bassem Tamimi, Bürger von Nabi Saleh und Aktivist gegen die Repressionen der israelischen Staatsgewalt. Nachdem die Besucher in seinem Wohnzimmer Platz genommen haben, servieren er, sein Sohn und einige seiner Genossen, darunter sein Bruder Bilel, Tee und Cola. Dann beginnt er, zu erzählen. Die Probleme hätten angefangen, als das israelische Militär die örtliche Grundwasserversorgung unter seine Kontrolle gebracht habe. Seitdem sei der Löwenanteil für die jüdischen Siedler in der Region reserviert, während die Bewohner der palästinensischen Dörfer nur zwölf Stunden pro Tag Zugang zu fließendem Wasser bekämen. Während des Gesprächs benutzen mehrere der Gäste die Toilette der Tamimis – und fragen sich hinterher, ob sie dadurch Engpässe verursacht haben.

Bilel Tamimi schaltet den Fernseher an und legt einen Film ein, den er gedreht hat. Er zeigt die Bewohner Nabi Salehs, wie sie gegen die Einschränkungen protestieren und die israelischen Soldaten, wie sie die Palästinenser mit Tränengas, Gummigeschossen und Schlägen zurücktreiben, wie sie in Häuser eindringen und Menschen verhaften. Die Kamera wurde Tamimi von einer Hilfsorganisation zur Verfügung gestellt. Einige der Zuschauer reagieren skeptisch. „Wieso wurde die Kamera zufällig immer kurz bevor die Soldaten jemanden verhafteten eingeschaltet? Wieso prügelt das Militär auf jeden ein, außer auf den Kameramann?“, werden sie sich später fragen. Zumindest die zweite Frage kann Tamimi zum Teil aufklären: „Meistens haben die mich nicht so einfach drehen lassen“, sagt er, „Ich wurde schon elf Mal beim Filmen verhaftet.“ Insgesamt wurden laut der Aktivisten in den Wochen vor dem Besuch der Darmstädter über hundert Dorfbewohner verhaftet, davon viele Kinder.

 Die Aktivisten von Nabi Saleh distanzieren sich von jeder Gewalt, nennen Angriffe von militanten Jugendlichen auf Siedler und Sicherheitskräfte „unorganisierte Einzelaktionen.“ Auf die Frage hin, an welche Lösung des Konflikts sie glauben, haben sie eine Überraschung parat. „Wir wollen keine Zweistaatenlösung“, sagen sie, „Dazu ist es zu spät, der israelische Staat hat bereits Fakten geschaffen.“ Die Lösung sei „ein sakulärer Staat, in dem alle die gleichen Rechte haben.“ Es geht wohl weniger um Wasser als ums Prinizip, was teilweise erklärt, wieso  die Bewohner Nabi Salehs die Wasserversorgung aus Entsalzungsanlagen abgelehnt haben.

Nach dem Gespräch führen die Tamimis und ihre Mitstreiter die Darmstädter auf einen kleinen Hügel, von dem aus sie die weißen Häuser und roten Dächer der jüdischen Siedlungen sehen können. Danach geht es zurück zum Bus. Schon auf dem Weg dorthin beginnen die Diskussionen über das Gesehene und Gehörte. Einige fragen sich, wieso Kinder mit auf die Demonstrationen genommen wurden, und wieso Tamimi mit seiner Kamera immer zufällig dann zur Stelle war, jemand auf der Straße verhaftet wurde. Treibt die Verzweiflung die Menschen hier soweit, ihre Kinder als Schutzschilde einzusetzen? Es ist der letzte Tag der Reise. Viele der Exkursionsteilnehmer sind jetzt, da sie den Nahostkonflikt aus der Nähe betrachtet haben, da sie beide Positionen gesehen und gehört haben, noch ratloser als vorher, als sie ihn nur aus Zeitung und Fernsehen kannten.

Konrad Bülow
29.03.2013
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