Ausstellung zu Rojava in Nordostsyrien im DGB-Haus Darmstadt eröffnet

Innen befreit – von außen bekämpft. Zerstörung und Widerstand in Nordostsyrien

Die Ausstellung zu Rojava in Nordostsyrien ist im DGB-Haus Darmstadt Anfang Mai dieses Jahres eröffnet worden und ist geöffnet bis zum 2.Juni. Im Folgenden ein Interview mit Lydia Förster vom Verein Familien für den Frieden anlässlich der Ausstellung.

Wie kommt ein Verein Familien für den Frieden dazu sich gerade mit der Situation in Nordostsyrien zu beschäftigen?

Unser Verein ist hervorgegangen aus einem Elternnetzwerk. 2017 trafen sich erstmals Eltern von Kindern die nach Nordostsyrien (Rojava) gegangen waren um dort als Aktivist*innen (Internationalist*innen) beim Aufbau zu helfen.

In den vergangenen 6 Jahren ist dieses Elternnetzwerk immer größer geworden, inzwischen kommen zu unseren Familientreffen über 100 Menschen. Wir haben uns gemeinsam weiterentwickelt, von besorgten Eltern zu offensiven Eltern. Wir haben angefangen uns für das Gesellschaftsmodell in Rojava zu begeistern. Es entstand der Wunsch uns selbst für die Region aktiv einzusetzen. So haben wir Anfang letzten Jahres den Verein gegründet. Wir wollen zum einen, dort Projekte der außerschulischen Bildung initiieren und unterstützen, zum Anderen hier Öffentlichkeitsarbeit machen, weil so wenig über dieses Gebiet bekannt ist.

Was macht die Faszination von Rojava aus, warum gehen so viele, gerade junge Menschen dort hin?

In der demokratischen Föderation Nordostsyrien leben 4,5 Millionen Menschen. Den syrischen Aufstand 2011 und das entstandene Machtvakuum hat die kurdische Freiheitsbewegung genutzt um ein radikaldemokratisches Gesellschaftsprojekt weitgehend basis- und rätedemokratisch aufzubauen. Längst sind auch Assyrer*innen, Araber*innen und andere Ethnien beim Aufbau der Selbstverwaltung dabei. So entsteht ein multiethnisches, multireligiöses und geschlechtergerechtes Gesellschaftsmodell nach dem Konzept des Demokratischen Konföderalismus. Dies kann für die ganze Region und darüber hinaus Strahlkraft entfalten. Viele junge Menschen sehen darin auch einen Gegenentwurf zu unserem Gesellschaftssystem hier.

In der Ausstellung wird gezeigt dass die Türkei Nordostsyrien permanent mit Bomben und Drohnen angreift. Was hat das für Auswirkungen auf die Situation der Menschen dort?

Die Situation dort ist sowieso schon sehr schwierig. Die Verteidigungseinheiten haben den sogenannten Islamischen Staat (IS), unter enormen Opfern, gerade erfolgreich aus der Region vertrieben und haben in der Region immer noch ein Lager mit tausenden IS Gefangenen, die sich zum erneuten Kampf rüsten, zu bewachen, eine tickende Zeitbombe. Sie sind dabei ganz allein auf sich gestellt, es gibt keinerlei offizielle internationale Hilfe. Die europäischen Staaten weigern sich ihre Staatsangehörigen, die sich IS angeschlossen hatten, zurück zu nehmen. Da die Selbstverwaltung kein Staat ist und nicht anerkannt ist, wird sie zu offiziellen Verhandlungen nicht zugelassen.

Die Türkei drosselt immer wieder die Wasserzufuhr und setzt regelmäßig Weizenfelder in Brand (eine wichtige Nahrungs- und Einnahmequelle der Region). Zivile Infrastruktur z.B. die Stromversorgung usw. wird ebenfalls gezielt bombardiert. Drohnen töten hochrangige Vertreter*innen der Selbstverwaltungsorgane und gegen die kurdischen Kämpfer in den Bergen werden geächtete chemische Kampfmittel eingesetzt. Auch kurz nach dem Erdbeben, welches die Region glücklicherweise nicht so hart getroffen hat, setzt die Türkei Ihre Angriffe fort. Die Selbstverteidigungskräfte sind permanent im „Widerstand“, aber verfügen über keine Mittel Bomben und Drohnen abzuwehren.

Die Türkei möchte die Menschen, hauptsächlich die Kurden aus der Region vertreiben um dort einen „Sicherheitsgürtel“ in den sie syrische Flüchtlinge rückführen will einzurichten. Eine kriegerische Bedrohung geht von diesem Gebiet aber nachweislich nicht aus. Aber um der ideologischen politischen Bedrohung entgegen zu wirken führt die Türkei einen völkerrechtswidrigen Krieg auf fremden Territorium.

Trotz dieser bedrohlichen Situation versuchen die Menschen ihren Alltag weiter zu bestreiten und ihr fortschrittliches Gesellschaftsmodell weiter voran zu bringen. Die Ausstellung zeigt deshalb bewusst auch Widerstand und Zuversicht.

Wie verhält sich die Bundesregierung dazu, die Türkei ist ja schließlich ein NATO-Partner?

Die „wertebasierte feministische Außenpolitik“ endet da, wo es um einen Verbündeten geht. Es gibt keine offizielle Verurteilung der völkerrechtswidrigen Angriffe, statt dessen übernimmt man bereitwillig das Narrativ vom Kampf gegen den Terrorismus. Die Türkei ist ein wirtschaftlicher Partner und erpresst die europäischen Staaten mit der Aufkündigung des „Flüchlingsdeals“.

Auch in Deutschland kriminalisiert man die Kurdische Bewegung. Mit Verfahren nach §129 a, 129b StGB (Mitgliedschaft in einer ausländischen Terrororganisation) werden Kurd*innen belegt, die Demos anmelden, Veranstaltungen organisieren und z.B. Fahnen YPG/YPJ (Selbstverteidigungskräfte die gegen den IS gekämpft haben) besitzen usw. Die Bundesregierung wird so zum Erfüllungsgehilfen der AKP, die in Ihrem Land, Menschen die sich kritische äußern als Terrorist*innen wegsperrt.

Was können wir oder euer Verein tun?

Wir vom Verein sehen es als unsere Aufgabe an Öffentlichkeit herzustellen und das tun wir, indem wir z.B. diese Ausstellung zeigen und Veranstaltungen organisieren. Wir schreiben auch immer wieder Politiker*innen an und fordern sie zu Stellungnahmen auf, wir schreiben Leserbriefe usw. Das kann übrigens jeder tun. Wir geben Pressemitteilungen heraus (die leider nur selten abgedruckt werden). Hier in Darmstadt planen wir für den Herbst, da das Thema sehr komplex ist, zwei weitere Veranstaltungen (z.B. die Rolle der kurdische Autonomieregion im Irak und ihr Verhältnis zur kurdischen Selbstverwaltung usw.). Außerdem streben wir eine Städtepartnerschaftsinitiative an, für die wir noch Mitstreiter*innen suchen.

Wie kann man Kontakt zum Verein aufnehmen?

Man kann sich auf unserer Homepage informieren: www.familien-fuer-frieden.de

oder eine E-Mail senden an: lydia.foerster@familien-fuer-frieden.de

 

 

 

 

Interview
12.06.2023