"Warum Marx recht hat"

Buchbesprechung zu Terry Eagletons gleichnamigen Buch

Finanzkrise, Immobilienkrise, Eurokrise. Auch wenn es für die treuesten Eiferer und Anhänger des Kapitalismus schwer ist einzugestehen: Unser gegenwärtiges politisches und wirtschaftliches System befindet sich in einer schweren Misere. Für viele Marx-Jünger sind es die lang ersehnten letzten Atemzüge eines sterbenden Riesen.

Passend zu dieser gegenwärtigen Situation veröffentlichte der englische Literaturkritiker und bekennende Marxist Terry Eagleton vor kurzem sein neuestes Buch "Warum Marx recht hat".

Darin greift der Autor zehn geläufige Vorurteile gegen den Marxismus auf und widerlegt sie auf humorvolle, pointierte Art. Hauptausgangspunkt hierfür ist vor allem Marx´ philosophisches und gesellschaftskritisches Werk, in welches er gleichzeitig einen leicht verständlichen und unterhaltsamen Einstieg bietet. Wenn man hingegen auf eine Darlegung der ökonomischen Thesen Karl Marx hofft, ist man mit Terry Eagletons Buch nicht gut bedient. Vielmehr möchte es eine Verteidigungsschrift für einen der größten Philosophen der Moderne sein und den Grundstein legen für eine sachliche Diskussion über einen durchaus berechtigten Standpunkt.

"Unter den Leuten, die den Sozialismus für undurchführbar halten, gibt es nicht wenige, die davon überzeugt sind, sie könnten die Armut ausrotten, das Problem der globalen Erwärmung aus der Welt schaffen, die liberale Demokratie in Afghanistan etablieren und die Konflikte in der Welt durch UN-Resolutionen lösen. Alle diese übermächtigen Aufgaben lassen sich angeblich locker zu bewältigen. Nur der Sozialismus bleibt aus irgendeinem Grund unerreichbar."

Leicht wehmütig schließt er schließlich mit den Worten: Ist jemals ein Philosoph so entstellt worden? Eine berechtigte Frage wenn man auf die Diskrepanz zwischen dem Bild des "blutleeren, klinischen Denkers" der antimarxistischen Stammtischfraktionen und dem "leidenschaftlich an das Individuum glaubenden", humorvollen und eine bedingungslose Selbstverwirklichung forcierenden Karl Marx schaut, den uns Eagleton in seinem Buch vorstellt. Dabei ist der Autor keineswegs blauäugig und geht durchaus auch auf Schwächen und berechtigte Kritikpunkte in Marx Werk ein, wehrt sich aber dagegen Marx die Schuld an den in seinem Namen verübten Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu geben. Stattdessen fragt er, warum die Verbrechen die im Namen der Marktwirtschaft und der westlichen Demokratie verübt wurden niemals so ideologisiert wurden wie diejenigen Stalins und Maos. Gleichzeitig hütet er sich davor denselben Fehler zu machen und zeigt uns den Kapitalismus nicht als das "pure Böse", sondern ganz in Marxscher Tradition als höchst ambivalent, eben auch große Errungenschaften wie Freiheit und Wohlstand schaffend.

Das was dem Buch leider an theoretischer Tiefe fehlt, macht es durch seine große Bandbreite wett und bietet so für Marx-Anfänger eine gute Einführung in dessen Denkweise. Vor allem aber ist dieses Buch ganz besonders jenen zu empfehlen, die niemals etwas mit Marx zu tun haben wollten, sich aber nicht davor scheuen ihn, ohne jemals eine Zeile von ihm gelesen zu haben, öffentlich widerlegen zu wollen. Allen Marxkritikern und Antimarxisten ist dieses Buch auf das wärmste zu empfehlen und sicherlich wird deren Kritik dann auch bereitwilliger angenommen werden, sobald sie auf einer sachlicheren Ebene stattfindet als der mittlerweile zum Politiklehrer-Kanon gehörende Spruch "Kommunismus funktioniert nicht, sieht man ja!"

Michael Schiefelbein
31.08.2012
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