Wo gewerkschaftliches Engagement gefährlich ist

Gewerkschafter aus Bursa berichten

Für den 22. Januar waren zwei Gewerkschafter aus Bursa zu einer Veranstaltung der „AG Migration und Vielfalt der SPD Hessen Süd“ und des DGB-Stadtverbandes Darmstadt eingeladen.  Die beiden Gewerkschafter aus Bursa, der Partnerstadt Darmstadts in der Türkei, sollten über die „aktuelle Situation der Arbeitnehmerbewegungen und –rechten“ informieren“, hieß es in der Einladung. Eingeladen waren Ayhan Ekinei vom Gewerkschaftsdachverband DISK und Hasan Özalydin von der Gewerkschaft KESK, einem Zusammenschluss von Gewerkschaften des Öffentlichen Dienstes. Begleitet wurden sie von Hasan Arslan, der in Istanbul das Projekt „Stärkung von Arbeitnehmerrechten in Süd-Osteuropa“ leitet. Er fungierte bei der Veranstaltung auch als Übersetzer.
Bevor die türkischen Gäste zu Wort kamen, gab es eine sehr ausführliche Präsentation über eine Delegationsreise des Darmstädter SPD-Landtagsabgeordneten Michael Siebel, die ihn unter anderem auch nach Bursa führte. „Impressionen aus Bursa“ war der Titel dieser Präsentation; tatsächlich aber zeigte sie vor allem den Landtagsabgeordneten bei der Wahrnehmung seiner Termine. Innerhalb von drei Tagen nahm er an insgesamt 13 Treffen teil, die jeweils mit mindestens einem Foto dokumentiert wurden. Über die Inhalte der Gespräche war leider nur wenig zu erfahren.

Wesentlich interessanter wurde die Veranstaltung, als danach die türkischen Gewerkschafter über ihre Probleme berichten konnten. Mit der zunehmenden Einschränkung demokratischer Rechte im Allgemeinen sei auch gewerkschaftliches Engagement immer größerer Repression ausgesetzt. Hasan Özalydin nannte die Zahl von Zehntausend Menschen, die heute unter dem Vorwurf des „Terrorismus“ in den Gefängnissen säßen. Allerdings hätten die aller wenigsten von ihnen jemals ein Gewehr in der Hand gehalten. Auch die beiden Gewerkschafter selbst wurden angeklagt, weil sie in Bursa dem Mai-Komitee angehörten, das die örtliche Demonstration zum 1.Mai organisierte. Ihnen wird zum Vorwurf gemacht, bei der Demonstration nicht eingeschritten zu sein, als kurdische Gesänge angestimmt wurden. Eine weitere Anklage erhielten die beiden letzten Sommer, als es auch in Bursa zu Demonstrationen kam, die sich gegen die gewaltsame Zerschlagung der Gezi-Park-Bewegung richteten. Diese Bewegung entzündete sich an der Bebauung des Gezi-Parks in Istanbul, griff aber auf viele Städte des Landes über und brachte den Unmut vor allem der jüngeren Generation zum Ausdruck. Die Gewerkschaftsverbände DISK und KESK unterstützen Solidaritätsdemonstrationen in Bursa und die beiden wurden als deren Vorsitzende angeklagt. Wenig versprechen sich die Gewerkschafter von den politischen Parteien. Auch die Parteien der Opposition unterstützen ihre Anliegen nicht ernsthaft. So fordere die KESK seit Jahren ein uneingeschränktes Streikrecht für Staatsbedienstete. Dies sei bisher aber von keiner im Parlament vertretenen Partei aufgegriffen worden.

Doch ist es nicht nur staatliche Verfolgung, denen gewerkschaftliches Engagement ausgesetzt ist. Obwohl es auf dem Papier alle Rechte für Gewerkschaften gibt, wird dies in den Betrieben oft nicht beachtet. Viele Arbeitnehmer_innen werden wegen ihrer gewerkschaftlichen Betätigung benachteiligt oder entlassen. Auch einige Arbeitsunfälle lassen den Verdacht aufkommen, dass dabei nachgeholfen wurde, um unbequeme Leute loszuwerden oder gar zu ermorden. Zwar gebe es ein Gesetz, das die Beeinträchtigung von Gewerkschaftsarbeit verbietet und dafür sogar eine Strafe von drei Jahren Gefängnis vorsieht, doch wurde dieses Gesetz noch nie angewandt. Obwohl derartige Praktiken an der Tagesordnung seien.  So hätten sich die Unternehmer eines Industriegebiets in Bursa zusammengeschlossen, um die Bildung von Gewerkschaften dort zu unterbinden.

Doch seien es nicht nur kleine, einheimische Betriebe, die gewerkschaftliche Aktivitäten unterdrücken.  Auch türkische Niederlassungen multinationaler Konzerne beteiligten sich an dieser Praxis. Als Beispiel wurde das Unternehmen Bosch genannt, das in Bursa eine Niederlassung hat. Auch dort sei es zu Verletzungen von Arbeitnehmerrechten gekommen. Die Beschäftigten dort wurden traditionell von der eher staatstragenden und unternehmerfreundlichen Gewerkschaft Türk-Is  vertreten. Da viele Arbeitnehmer_innen damit aber unzufrieden waren, begann die Metallgewerkschaft der DISK (Metal-Is) damit, die Beschäftigten bei Bosch zu organisieren. Viele Mitglieder traten über. Von den 5.600  Beschäftigten seien schließlich 4.000 bei der DISK organisiert gewesen und diese habe  die Vertretung der Arbeitnehmer_innen bei Bosch übernehmen wollen. (In der Türkei übernimmt die Gewerkschaft mit den meisten Mitgliedern im Betrieb die Vertretung der gesamten Belegschaft. Die Anzahl der Mitglieder müssen die Gewerkschaften gegenüber einem Notar nachweisen.)  Doch habe die Unternehmensleitung darauf hin die Menschen massiv unter Druck gesetzt, ihnen mit Entlassungen oder Abgruppierung gedroht. Daraufhin seien viele Mitglieder wieder aus Metal-Is ausgetreten.  So sollen die unternehmerfreundliche Gewerkschaft schließlich neun Mitglieder mehr gehabt haben als die DISK. Aber die Auseinandersetzung darüber hält noch an, fünf Gewerkschafter wurden deshalb entlassen.

Ayhan Ekinei kritisierte, dass Bosch ein internationales Rahmenabkommen mit dem Gesamtbetriebsrat von Bosch und dem Internationalen Metallarbeiterbund unterzeichnet habe, nach der sich der Konzern verpflichtet, überall gewerkschaftliche Rechte zu garantieren und geltende Tarifverträge einzuhalten. In der Türkei halte sich Bosch aber nicht an dieses Abkommen und das habe leider keine Konsequenzen. Unterstützung erhoffen sich die türkischen Gewerkschafter auch von ihren deutschen Kolleg_innen.

Reinhard Raika
27.01.2014