"Keinesfalls geben wir auf!"

TTIP/CETA: Wie weiter nach den Demonstrationen und dem SPD-Beschluss?

Am 17.9. fanden in sieben deutschen Großstädten Massendemonstrationen gegen die Freihandelsabkommen CETA, TTIP und TiSA statt. Über 300.000 Menschen nahmen daran teil. Die hohe Zahl der Teilnehmenden gibt die Stimmung eines Großteils der Bevölkerung wieder: Hatten im Sommer 2014 erst 55 Prozent der Befragten geglaubt, durch TTIP entstünden ihnen Nachteile, so waren es im Mai dieses Jahres schon 70 Prozent. Die Sonderklagerechte für ausländische Investoren, das Schleifen von Sozial- und Umweltstandards und die Aushöhlung von Rechten der Arbeitnehmer-Innen sind die populärsten Argumente. Ein zentraler Gegenstand des Protestes war auch die geplante „vorläufige Anwendung“ von CETA auch ohne Zustimmung der Parlamente der Mitgliedsstaaten. CETA, das Abkommen mit Kanada, gilt als inhaltliche Vorlage für TTIP. Mit der vorläufigen Anwendung wären die Bestimmungen von CETA für alle Investoren gültig, die in der EU und Kanada niedergelassen sind.

Vor diesem Hintergrund geriet in den Tagen vor der Demonstration vor allem CETA in die Schlagzeilen. Dafür sorgte nicht zuletzt Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel, der einerseits TTIP für tot erklärte, CETA aber als „beispielhaft  für andere Abkommen“ bezeichnete. Er warb damit für eine Zustimmung des SPD-Konvents zur vorläufigen Anwendung von CETA. Da der Konvent für den 19. September, also zwei Tage nach den Demonstrationen angesetzt war, dürften viele Demonstrant_innen auch deshalb gekommen sein, um den Delegierten des SPD-Konvents die breite Ablehnung nicht nur von TTIP, sondern auch von CETA zu verdeutlichen.

Demonstration in Frankfurt

Für Frankfurt hatten die Veranstalter mit 20.000 Menschen gerechnet. Es wurden auf jeden Fall mehr. Die Polizei meldete 25.000 Teilnehmende, die Veranstalter 50.000. Auch „erfahrene“ Demonstrant_innen hatten  auf dem Opernplatz bei einer Demonstration noch nie so viele Menschen versammelt gesehen.
Der Demonstrationszug  war nicht nur groß, sondern auch vielfältig. Ganz unterschiedliche  Motivationen bringen die Leute dazu, gegen die Freihandelsabkommen zu protestieren. Viele haben handgemalte Plakate oder Transparente dabei, bringen also ihre eigene Phantasie ein und begnügen sich nicht mit den vorgefertigten  Elementen der Großorganisationen. Es ist ein Bild und eine Stimmung wie es ältere Teilnehmer_innen aus den Friedensdemonstrationen der 80er Jahre in Erinnerung haben. Wie damals wirkt auch hier manches Argument etwas einfach gestrickt. So denken wohl Einige, es genüge an die „Vernunft“ der politisch Verantwortlichen zu appellieren. Andere sehen in den Abkommen nur die Interessen der USA und ignorieren, wie sich gerade unsere exportorientierten Industriellen dafür stark machen. Wie bei den Friedensdemonstrationen sind auch diesmal etliche SPD-Mitglieder dabei obwohl die Parteiführung in die entgegengesetzte Richtung strebt. Der ganze Frankfurter  Unterbezirk der Partei hat zur Teilnahme aufgerufen.

Um das breite Spektrum des Protestes abzubilden, hatte das Demonstrationsbündnis siebzehn Redebeiträge bei der Auftakt- und Schlusskundgebung angekündigt. Alle Redner_innen fassten sich erfreulich kurz. Manche Beiträge erweckten den Eindruck, mit CETA und TTIP beginne eine vollkommen neue Phase der gesellschaftlichen Entwicklung und dadurch würden alle bisherigen Errungenschaften der Sozial- und Umweltpolitik in Frage gestellt. Zu kurz kam bei manchen Redner_innen, dass dieser Prozess schon seit vielen Jahren in Gang ist und die Freihandelsabkommen nur weitere Schritte auf diesem Weg darstellen.

Bemerkenswert sind die Grußworte des Frankfurter Oberbürgermeisters Peter Feldmann (SPD). Im Gegensatz zur Parteispitze lehnte er auch das Abkommen mit Kanada eindeutig ab: „Die kommunale Daseinsvorsorge ist in Gefahr, das ist für mich als Kommunalpolitiker entscheidend, deshalb hoffe ich, dass CETA und TTIP nicht in Kraft treten“

Beteiligung aus Darmstadt und Umgebung

Das Bündnis „Stoppt TTIP und Co Darmstadt.Dieburg“ mobilisierte in Darmstadt und Umgebung für die Teilnahme an der Demonstration. Schon die vier Aktionen im Vorfeld der Demo waren auf großes Interesse gestoßen. Dem Bündnis gehören Gewerkschaften, Attac, Umwelt und Kulturverbände wie der BUND und der BBK, Parteien und weitere Organisationen an, die ebenfalls die Demonstration unterstützten. Zum Treffpunkt des Bündnisses am Bahnhof waren etwa 150 Menschen gekommen, um gemeinsam nach Frankfurt zu fahren. Viele Menschen haben sich darüberhinaus aber auch individuell oder in privaten Gruppen nach Frankfurt aufgemacht.

Untergliederungen der Darmstädter SPD haben nicht aufgerufen. Der Ortsverein Gervinus veranstaltete statt dessen am 17.9. ein Woogsfest. Zur Position der Darmstädter SPD sagt Isolde Albrecht, eine Sprecherin des Bündnisses „Stoppt TTIP und Co.“: „Auch in Darmstadt gibt es selbstverständlich SPD-Mitglieder, die sich klar und konsequent gegen CETA und die anderen Freihandelsverträge positionieren. Wir arbeiten ja mit einigen im Bündnis zusammen. Leider scheint aber das Gros der Darmstädter SPD durch die explizit TTIP- und CETA-freundliche Haltung der Vorsitzenden Brigitte Zypries paralysiert.“

Wie weiter?

Trotz der großen Demonstrationen haben zwei Tage später die Delegierten des SPD-Konvents der Position Sigmar Gabriels zugestimmt und den Weg für CETA frei gemacht.  Isolde Albrecht kommentiert dies so: „Die SPD hat wieder einmal ihre eigenen roten Linien hintergangen und sich – bei einer so weitreichenden gesellschaftlichen Frage – unglaubwürdig gemacht. Den Schaden trägt leider nicht nur die SPD! Besonders ungut finde ich, dass auch der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann den faulen Kompromiss mitgetragen hat und damit hinter die erklärte Position des DGB zu CETA zurückgefallen ist.“

Die Vorstellung des Konvents, “mit ein paar Protokollnotizen zum Vorsorgeprinzip, dem Investitionsschutz oder den Arbeitsstandards den CETA-Vertrag nachzubessern zu können“, hält sie für „Augenwischerei“. Solche Klauseln hätten schon vorher im Text verankert werden müssen. „EU-Handelskommissarin Malmström hatte schon vor längerer Zeit verlauten lassen, dass der CETA-Vertragstext nicht mehr geöffnet wird. Ein Recht, gegen Umweltverstöße, Arbeitsrechtsverletzungen oder Ähnliches vorzugehen, gibt es im CETA Vertrag nicht.“

„Der verhängnisvolle SPD-Beschluss erleichtert unsere Arbeit nicht. Zugleich machen aber der enorme Zulauf zur Demo und unsere guten Erfahrungen an den Infoständen Mut“, so die Einschätzung von Isolde Albrecht. Gerade deshalb ruft das Darmstädter Bündnis dazu auf, massenhaft die Petition an Sigmar Gabriel zu unterstützen, die vorläufige Anwendung von CETA im EU-Rat abzulehnen. Des weiteren will das Darmstädter Bündnis zusammen mit der bundesweiten Bewegung den Druck auf die Parlamente erhöhen und die CETA-Verfassungsklagen unterstützen. Auf lokaler Ebene verfolgt das Bündnis das Ziel, dass sich das Darmstädter Stadtparlament dem Beispiel von 2000 europäischen Städten anschließt und sich gegen Freihandelsverträge wie TTIP & CETA positioniert.

Trotz der komplizierten Lage betont Isolde Albrecht: „Keinesfalls geben wir auf !“

Homepage des "Bündnisses Stoppt TTIP und Co. Darmstadt.Dieburg": http://www.stoppt-ttip-und-co.de/

 

Reinhard Raika
26.09.2016
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