Bursa lässt Städtepartnerschaft ruhen

Brief aus Bursa: Repression auch gegen Gewerkschaften

Nicht erst seit dem gescheiterten Putschversuch vom 15.Juli 2016 unterdrückt in der Türkei das Regime der AKP oppositionelle Strömungen. Doch den Versuch, Erdogan mit Militärgewalt vom Amt zu entfernen, bezeichnete er selbst als „Gottesgeschenk“ und er ist der Vorwand für eine Repression ohne Grenzen zu kennen.

Auch Bursa ist davon betroffen. Am 9. Oktober 2016 wurden dort 29 AktivistInnen von der Polizei festgenommen wurden, weil sie eine Gedenkaktion für den Jahrestag des Attentats auf eine von Gewerkschaften und linken Verbänden organisierten Friedensdemonstration vorbereiteten. Die Sängerin Sila Gençoğlu durfte in Bursa nicht auftreten, weil sie sich weigerte nach dem Putsch auf einer Jubelfeier für Erdogan zu beteiligen. Die Zahl der aus dem Staatsdienst Entlassenen ist nicht bekannt.

Am 17. November 2016 wurde Im Staatstheater Darmstadt an die kritischen türkischen Journalisten  Can Dündar und Erdem Gül  der Hermann Kesten-Preis des deutschen PEN-Zentrums verliehen. Oberbürgermeister Jochen Partsch erklärte anlässlich der Preisverleihung, die Stadt habe sich an die Behörden von Bursa gewandt, um sich bei einem Besuch vor Ort zu informieren. Leider habe es aus der Partnerstadt keine Reaktion gegeben, so dass dieses Ziel nicht weiter verfolgt wurde. Diese Haltung wurde kritisiert, da es in Bursa auch andere GesprächspartnerInnen, etwa in zivilgesellschaftlichen Organisationen gebe.

Nun hat Bursa auf Antrag der rechtsextremistischen Partei MHP die Städtepartnerschaft mit Darmstadt ausgesetzt.  Ein Besuch Darmstädter Stadtverordneter ist dadurch nicht überflüssig geworden.

Ein Brief von gewerkschaftlich Aktiven aus Bursa macht deutlich, dass sich die Repression der AKP nicht nur gegen Anhänger des Predigers Gülen und die kurdische Bewegung richtet. Auch Bestrebungen eine eigenständige Gewerkschaftsbewegung aufzubauen, werden verfolgt. Im Folgenden der Brief in deutscher Übersetzung:


Bursa war letztes Jahr der Schauplatz großer Arbeitskämpfe der Metallarbeiter. Die Organisation der Bosse, MESS (Verband der Metall- Arbeitgeber) und deren langer Arm in den Betrieben, die Türk-Metall halten die Arbeiter in den großen Betrieben unter Ihren Fittichen. Das System nach dem Putsch von 1980 ist so: Die Arbeiter können diese Gewerkschaft nicht verlassen, nicht kritisieren, keine Forderungen stellen. Wenn, dann landen Sie sofort auf der Straße.

2015 gab es gegen diese Gewerkschaft großen Widerstand, und Bursa war das Zentrum dieser Proteste. MESS und Türk Metall vereinbarten einen Haustarif für die Bosch Werke. Dieser Tarifvertrag fiel günstiger aus als in den anderen Betrieben. Daran hätte sicherlich die Tatsache ihren Anteil, dass zuvor die Bosch-Arbeiter vereint aus der Gewerkschaft aus- und in die andere Gewerkschaft Birlesik-Metal (Vereinigte Metallgewerkschaft) eintraten. Zwar kamen sie mit diesem Vorhaben letztendlich nicht durch aber hatten dadurch höhere Tarife durchgesetzt. Dies hatte ein Lauffeuer für andere Betriebe entfacht. Ab März 2015 begannen, geführt von den Arbeitern von Oyak Renault, in allen Betrieben die Arbeitskämpfe. Am 5 Mai folgten massenweise Austritte aus der Einheitsgewerkschaft Türk-Metall. Danach die Arbeitsniederlegungen in den Werken von Oyak Renault, Tofas Fiat, Mako (Magnetti Marelli), Cuskunöz und Ototrim. Die Produktion in diesen Werken stand tagelang still. (Z.B. bei Renault standen die Bänder für 13 Tage still) Am Ende haben wir in allen MESS-Betrieben Lohnerhöhungen durchgesetzt. Der Arbeitskampf fand sein Echo auch in anderen Städten. Ford, Arcelik, Türk Traktor, Rulman und andere Werke wurden bestreikt (ein neuer Arbeits-Almanach ist in Arbeit. Alle Details werdet ihr dort finden können. Zwar hilft es heute als Information nicht weiter, aber für die Zukunft sich merken!)

Zu dieser Zeit haben das Gouvernement, die Polizeidirektion Bursa und die arbeitgeberfreundlichen Anwälte alles unternommen, um unseren Kampf zu ersticken. Letzte Woche wurde der Mail-Verkehr des damaligen AKP-Vorsitzenden von Bursa bekannt  und wurde in dem Portal soL-haber veröffentlicht. In seinen Mails warnt er die Bezirke und Gemeinden, die die streikenden Arbeiter unterstützt haben.

Aber MESS und Türk-Metall haben mit ihren Repressalien weitergemacht. In den Jahren 2015 und 2016 wurden viele Arbeiterinnen und Arbeiter entlassen oder unter Druck gesetzt.

Währenddessen haben wir als Birlesik-Metal (Vereinigte Metallgewerkschaft) angefangen die Arbeiter von Oyak Renault zu organisieren. Ca. 4000 Arbeiterinnen und Arbeiter wurden Mitglied von Birlesik-Metal (Vereinigte Metallgewerkschaft). Da aber die Tarifverträge von Türk-Metall noch bis September 2017 gelten, konnten wir bisher nicht aktiv werden. Wir warten auf das Ende der Tarifrunde und werden danach die Forderung auf eigenen Tarifvertrag stellen.

Zwischenzeitlich hatten wir Gespräche mit dem Mutterkonzern in Frankreich.  Wir haben uns auf einen Betriebsrat ihn den Werken geeinigt (Anfang 2016). Im Vorfeld der für Februar angesetzten Betriebsratswahlen nahmen die Aktivitäten AKP-Türkei-typisch zu. Zunächst besuchten die Bosse von Türk-Metall den Arbeitsminister, und dann den Präsidenten. Wir wissen aus sicheren Quellen, dass da die Situation bei Oyak Renault  besprochen wurde. Kurz danach schickte das Ministerium Inspekteure ins Werk. Es wurden Gerüchte verbreitet, dass die Arbeit von Türk-Metall mit Gewalt verhindert würde. Dann kam die Kehrtwendung von Renault. Am Tag der Wahlen wurden unser 10 Kandidaten entlassen. Das Werk wurde daraufhin von Arbeitern besetzt. Die Sicherheitskräfte griffen mit geballter Macht vor. Die Arbeiter vor dem Werksgelände wurden gewaltsam vertrieben. Die Werksgebäude wurden umzingelt. Unser Widerstand wurde nach 3 Schichten gebrochen.

Nach diesen Ereignissen wurden 500 Arbeiterinnen und Arbeiter entlassen. Die anderen sind ständigen Repressalien ausgesetzt, damit sie die  Birlesik-Metal (Vereinigte Metallgewerkschaft) verlassen und wieder in Türk-Metall beitreten. Wir versuchen mit aller Kraft dem entgegenzutreten.


Nachtrag: Streikverbot im Ausnahmezustand

In einer Urabstimmung nach Tarifverhandlungen für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen stimmten im Januar 2017 in 13 Betrieben der Elektro- und metallverarbeitenden Industrie die Belegschaften für einen Streik. Unmittelbar nach der Bekanntmachung der Streikabstimmung erklärte die Regierung die Streiks mit der Begründung des Ausnahmezustandes im Land für illegal und beendet. Die Gewerkschaft Birlesik Metal Is erklärte hierzu: „Unsere mehrheitlich beschlossenen Streiks in der Elektro- und Metallindustrie wurden vom Ministerrat verboten. Diese Angriffe auf unsere Grundrechte werden wir nicht so einfach hinnehmen“. Erst wenige Tagen zuvor hatte die Regierung mit der gleichen Begründung die Streiks beim Stahlverarbeiter „Asli Celik“ verboten“. Trotz des Verbots wurde tagelang gestreikt bis ein Abkommen mit den Unternehmen erreicht wurde.

http://www.didf.de/blog/ausnahmezustand-tuerkische-regierung-verbietet-m...

http://www.labournet.de/internationales/tuerkei/gewerkschaften-tuerkei/t...

Reinhard Raika / Brief aus Bursa
02.04.2017