Servicegesellschaft des Klinikums zahlt nicht nach Tarif

ver.di: “Halten Sie Ihre Aussagen aus den Hochglanzbroschüren auch in der Realität ein!“

Die Starkenburg Service GmbH (SSG) ist seit 2001eine hundertprozentige Tochtergesellschaft des Klinikums Darmstadt. Die Bereiche Gebäudereinigung, hauswirtschaftliche Dienste, Zustellung der Speisen an alle Standorte des Klinikums, die komplette Entsorgung des Hausmülls und der Schmutzwäsche sowie die Versorgung mit Frischwäsche und Reinigungsmitteln wurden ausgegründet, mit dem Ziel Personalkosten einzusparen. Zur Zeit sind etwa 300 Personen bei der SSG beschäftigt, davon werden noch 80 Beschäftigte, die vor der Ausgründung der SSG einen Vertrag mit dem Klinikum hatten, nach dem Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes (TVöD) bezahlt.

 

Hochglanzbroschüren der Stadt: Außen hui ...

In der Stadtwirtschaftsstrategie 2025 der Stadt Darmstadt stehen wohlklingende Formulierungen: „Die Wissenschaftsstadt nimmt ihre soziale Verantwortung im Stadtkonzern wahr. Die Unternehmen der Stadtwirtschaft sind verantwortungsvolle Arbeitgeber. Hierzu gehören wettbewerbsfähige Löhne und Gehälter, Vermeidung betriebsbedingter Kündigungen und die Minimierung von Leiharbeitsverhältnissen. Wettbewerbsfähige Löhne und Gehälter gehen mit tarifvertraglichen Regelungen einher. Tarifflucht ist nicht zulässig. Auf sachgrundlose Befristungen wird nach Möglichkeit verzichtet.“ Dazu führt der Beteiligungsbericht der Stadt Darmstadt 2019 auf, dass die SSG 251 „Beschäftigte in Tarifbindung“ angestellt hat.

… doch innen pfui in der SSG

Doch die SSG zahlt ihren Beschäftigten nur11,12 Euro/Stunde (1.926 € im Monat bei 40 Wochenstunden) – in etwa angelehnt am Tarif Gebäudereinigungs-Handwerk.Tarifliche Lohnerhöhungen dieses Tarifvertrag werden allerdings immer erst mit einigen Monaten Verspätung bei der SSG umgesetzt und auch nicht alle Regelungen des Tarifvertrages z. B. bei der Eingruppierung und Stufensteigerung werden angewendet. Nach dem TVöD beträgt das Einstiegsgehalt 2.112 Euro bei 38,5 Wochenstunden (1.980 Euro Tabellenentgelt + 132 Euro anteilige Jahressonderzahlung) in der niedrigsten Eingruppierung. Mit andauernder Betriebszugehörigkeit steigt das Monatsbrutto wegen der Erfahrungsstufen inklusive Sonderzahlung auf 2.336 €.

Bewusste Irreführung ?

Den Stadtverordneten der Linken fiel dieser Widerspruch auf und sie wollten in einer Anfrage vom Mai 2021 wissen, nach welchem Tarifvertrag denn die Beschäftigten der SSG bezahlt werden. Die Antwort des Oberbürgermeisters Partsch auf die Anfrage war kurz und klang kaltschnäuzig: „Grundlegend ist an dieser Stelle zu vermerken, dass es sich hier um eine auf einem Übertragungsfehler beruhende nicht korrekte Darstellung im Beteiligungsbericht handelt. In der SSG liegt keine Tarifgebundenheit vor.“ Und „Es gibt keine regulären Lohnsteigerungen, die durch einen festen Automatismus geregelt werden.“

Auf der Stadtverordnetenversammlung am 15.7. 21 setzte Stadtkämmerer Schellenberg, der gleichzeitig Vorsitzender des Aufsichtsrats des Klinikums ist, noch eins drauf: „Festlegungen in der Stadtwirtschaftsstrategie müssen atmen können.“ Tja, was kümmert mich mein schönes Geschwätz von gestern.

Und es kam noch doller. Ihn störe die „Gebabbelei“ mit der Kritik an der sachgrundlosen Befristung (ca. 100 Beschäftigte bei der SSG). Bei dem EAD gebe es eine Analphabetenquote von 10%, bei der SSG sei dies nicht anders und deshalb reiche eine Probezeit von einem halben Jahr nicht aus und man schließe Befristungen mit bis zu 2 Jahren ab, denn Kündigungen in der Probezeit frustrieren viel mehr. Die anwesenden Beschäftigten der SSG auf der Besuchertribüne bezeichneten dies als unwahr und könne gar nicht bei den beruflichen Anforderungen an sie zutreffen – sie fühlten sich diskriminiert.

Starke und einmütige Kritik kam von der Opposition. Uli Franke von den Linken erklärte, diese Politik der Stadt fördere direkt die Altersarmut, Kerstin Lau von Uffbasse mahnte, wir brauchen Menschen hier in Darmstadt, die von ihrem Gehalt leben können und Michael Siebel von der SPD erinnerte, die Frage der Tarifbindung sei sei eine der wichtigsten Fragen der kommenden Sozialpolitik.

Der Oberbürgermeister schwieg zu alledem und die Sozialdezernentin und frisch gewählte Bürgermeisterin verließ schon vorher den Saal. Volt hatte nichts zu sagen.

Grüne/CDU/Volt stehen nicht zu ihrer Selbstverpflichtung

Die Linke stellte einen Antrag zu Abstimmung, der mit folgendem – eigentlich – selbstverständlichen Satz begann: “Die Stadtverordnetenversammlung bekräftigt die Selbstverpflichtung der Wissenschaftsstadt Darmstadt zur sozialen Verantwortung im Stadtkonzern, die in der Stadtwirtschaftsstrategie 2025 niedergelegt ist.“ Weiter wird die Geschäftsführung der SSG aufgefordert, unverzüglich mit der Gewerkschaft ver.di in Verhandlungen über den Abschluss eines Tarifvertrags zu treten.

Die gesamte Opposition (!) bei Enthaltung der FDP stimmte für diesen Antrag, er wurde aber mit den Blockstimmen von Grüne/CDU/Volt abgelehnt.

Proteste von ver.di

Vor der Stadtverordnetenversammlung organisierte ver.di ein Protestaktion mit ca. 30 Teilnehmer*innen. In einem Flugblatt an die Stadtverordneten fassten die Beschäftigten ihre Forderungen zusammen:

"Krankenhausbehandlung ist Teamarbeit!

Ob Ärzte, Pflege, Medizinisch-technische Berufe, Hygiene, Reinigung, Patientenfahrdienst, Küche u.a. bis hin zur Verwaltung – dies sind unverzichtbare Tätigkeitsbereiche für die Krankenhausbehandlung. Daraus folgt: ein Krankenhaus – eine Belegschaft – ein Tarif!

Warum werden einzelne Arbeitsfelder, die Tochter-Gesellschaften des Klinikums – SSG und andere, aus den öffentlichen Tarifregelungen des Klinikums und der Stadt herausgenommen? Um Tarifflucht zu betreiben und um zu Lasten der Beschäftigten billiger wirtschaften zu können?

Für uns in der SSG heißt das:

  • Vergütung am unteren Limit, und das im Rhein-Main Gebiet mit hohen Lebenshaltungskosten
  • eine sehr hohe Befristungsquote, die zu Unsicherheit und Angst führt.
  • Viele kommen so auch krank zur Arbeit und haben doch keine Perspektive. Kurz und knapp: prekäre Beschäftigung! (…)

Nicht alles was legal ist, ist richtig!

Die Kommune produziert so selbst die (Alters-) Armut von morgen

Geehrte Stadtverordnete !

Halten Sie Ihre Aussagen aus den Hochglanzbroschüren auch in der Realität ein!

Veranlassen Sie, dass die SSG Tarifverhandlungen mit der Gewerkschaft aufnimmt.

Behandeln Sie uns Beschäftigte der SSG nicht weiter als Menschen 2. Klasse.“

 

 

 

Erhard Schleitzer
16.07.2021