Alles Scheiße teuer! Demonstration in Darmstadt

Der Funke springt (noch) nicht über.
Reinhard Raika

Die Inflation reißt auch in Deutschland immer neue Hürden. Im Oktober waren es mehr als 10 Prozent und weitere Steigerungen sind zu erwarten. Die bürgerlichen Medien zeigen sich besorgt, im Herbst könne sich der Volkszorn auf den Straßen entladen und rechte Strömungen und die Szene der Querdenkenden könne davon profitieren. Es wird von einem Zusammengehen rechter und linker „Extremisten“ phantasiert und jegliche Opposition gegen den Kurs der Regierung wird unter den Verdacht einer „Querfront“ gestellt.

Für Samstag, 12.11. rief die Initiative „Scheiße teuer“ zu Aktionen in Darmstadt auf. Nachmittags fand eine Demonstration statt und vormittags gab es Infostände in verschiedenen Teilen der Stadt. Beteiligt waren unter anderen „Fridays for Future“, die Interventionistische Linke, ver.di-Jugend und ver.di-Ortsverein Darmstadt, das türkische Volkshaus „Halkevi“ und die Gruppe „TV Stud“, die sich für eine Tarifvertrag für studentische Hilfskräfte einsetzt. Der Demonstrationsaufruf distanzierte sich deutlich von rechts und forderte höhere Löhne und die Vergesellschaftung sozialer Infrastruktur und der Energiekonzerne.

Bei der Demonstration wurde deutlich, dass es noch nicht gelungen ist, eine Protestbewegung gegen Preistreiberei auf die Beine zu stellen. Vormittags an den Ständen wurde zwar deutlich, dass Inflation für die meisten Menschen ein existenzielles Problem darstellt, doch glauben die meisten davon nicht, mit Druck von unten etwas bewirken zu können. Der Demonstrationszug wurde wohlwollend betrachtet, doch schloss sich niemand spontan an. Zu sehen waren hauptsächlich bekannte Gesichter. Es war nicht gelungen, über das eigene Aktivistenmilieu hinaus Menschen zu mobilisieren.

Als Testballon war diese Demonstration jedoch wichtig. Nun gilt es, in den Gruppen und unter den Aktiven darüber zu reden, wie der Protest verbreitert werden kann.

In mehreren Redebeiträgen wurden wichtige Aspekte der Inflationsauswirkungen angesprochen. Wir dokumentieren im Folgenden die Reden von Anna-Lisa Reinhard (ver.di-Jugend) und von Lukas Buchschmid (TV Stud).

Rede von Anna-Lisa Reinhard (ver.di-Jugend)

Wir als Gewerkschafter*innen kämpfen schon immer für bessere Bezahlung und bessere Arbeitsbedingungen. Aktuell laufen verschiedene Tarifrunden. Die IG Metall ist mitten in einer großen Tarifrunde, von der auch Opel in Rüsselsheim betroffen ist. Ihre Forderungen sind 8% Lohnanstieg. Sie haben ihre Forderungen aufgestellt, als die Inflation noch deutlich niedriger war. Inzwischen sind wir bei einer Inflation von 10% und wenn man nur Nahrungsmittel und Energie betrachtet, also das, was wir zum Leben brauchen, ist die Inflation noch wesentlich höher. Trotzdem ist der Arbeitgeber nicht bereit den Beschäftigten die 8% zu geben. Das ist eine Schweinerei! Es kann nicht sein, dass diese Menschen durch die aktuelle Krise weniger verdienen als vorher, während die Unternehmen weiterhin Gewinne machen. Es werden Ausreden vorgebracht, warum eine Lohnsteigerung nicht möglich ist. Aber uns ist klar, dass in einem kapitalistischen System in Krisen die Arbeitnehmer*innen an allen Ecken und Enden Verluste erleiden müssen, während das Kapital der großen Konzerne immer weiterwächst. Das ist unmenschlich! Es kann nicht sein, dass Milliarden an Profiten eingefahren werden, während Menschen frieren, hungern und sogar sterben.

Vor kurzem wurde auch die Forderung in der Tarifrunde des öffentlichen Dienstes aufgestellt. Hier werden 10,5% gefordert und ver.di erwartet die härtesten Verhandlungen seit den 90ern. In dieser Tarifrunde sind auch viele Krankenhäuser und andere so genannten systemrelevante Bereiche. Vor zwei Jahren, zur Zeit der letzten Verhandlungen, wurden wir mit Sonderzahlungen und prozentualen Zulagen, für bestimmte Bereiche, abgespeist. Doch nun steht fest, dass wir uns damit nicht mehr zufriedengeben werden. Einmalzahlungen sind ein billiger Trick der Arbeitgeber*innen, mit denen sie gute Miene zum bösen Spiel machen. Doch klar ist, dass diese Einmalzahlung schneller verpuffen, als wir schauen können und langfristig massive Lohneinbußen bedeuten. Damit geben wir uns nicht mehr zufrieden. Es müssen echte Lohnsteigerungen und echte Entlastung kommen.

Als letztes möchte ich darüber reden, wie es jungen Menschen, also Auszubildenden und Studierenden, in diesen multiplen Krisen geht. Zu Beginn der Coronapandemie und des Lockdowns wurden Studierende aus ihren Nebenjobs entlassen und viele Unternehmen haben keine neuen Auszubildenden eingestellt. Schule, Studierende und Ausbildung fanden in der Politik nur wenig Beachtung. Studierende mussten zu ihren Eltern zurückziehen, weil sie sich nicht mehr selbst finanzieren konnten. Der BAföG-Satz war schon immer zu niedrig. Nur etwa 11% der Studierenden erhalten BAföG, aber etwa 30% leben in Armut. Die aktuelle Reform sieht einen Anstieg von 70€ im Höchstsatz vor. 70€, davon kann ich im November die Erhöhung der Heiz- und Stromrechnung bezahlen und vielleicht noch die steigenden Preise der Nahrungsmittel. Aber was ist im Dezember, Januar oder das ganze nächste Jahr? Die ganzen Einmalzahlungen sind nicht von Dauer und ändern nichts daran, dass durch die viel zu niedrigen BAföG-Sätze freie Bildung für alle nicht der Wahrheit entspricht. Wir alle müssen die steigenden Kosten ertragen, aber junge Menschen haben normalerweise keine Rücklagen, auf die sie zurückgreifen können. Deshalb fordern wir die Politik auf: Denkt auch an die jungen Menschen und sorgt dafür, dass ihnen nicht die komplette Zukunft verbaut wird!

Für diese ganzen Probleme gibt es verschiedene Lösungsansätze. Krisengewinner*innen viel stärker besteuern und auch enteignen, Preisdeckelungen und eine Rückführung der kritischen Infrastrukturen, wie Gesundheit, Bildung, Energie und Wohnen, in staatliche Hand. Aktuell passiert davon noch nicht viel, aber genau deswegen sind wir hier und wir müssen so lange laut bleiben, bis endlich etwas passiert!

Rede von Lukas Buchschmid (TV Stud)

Die aktuellen Preisexplosionen sind für Studenten keine neue Krise. Denn mit miserablen BafÖG Sätzen und Mieten die bereits seit Jahren steigen ist für uns schon seit langem alles scheiße Teuer. 400 bis 600 Euro für ein WG Zimmer sind schon lange Standard und während zur Einführung noch die Hälfte aller Studenten BafÖG beziehen konnte sind es jetzt gerade einmal 10 Prozent und selbst für die reicht es nicht zum Leben. Die Momentane Krise spitzt das nun dramatisch zu. Während Studis sich fragen, ob sie lieber weiter ihren Hobbies nachgehen wollen oder am Monatsende essen, kommen die versprochenen 200 Euro der Bundesregierung frühestens im Januar.
Und als wäre all das nicht genug, müssen wir nun auch noch um unsere Lehre fürchten. Da das Land Hessen nicht bereit ist Verantwortung zu Übernehmen und den Hochschulen finanziell unter die Arme zu greifen drohen an der TU Darmstadt großflächige Schließungen und Entlassungen. Aber das lassen wir nicht auf uns sitzen. Mit der größten Vollversammlung der letzten Jahre haben die Studierenden der TU Darmstadt einstimmig einen Studistreik am 24.11 beschlossen um zu zeigen das wir das nicht mit uns machen lassen.

Doch auch hier ist die aktuelle Krise nur eine Fortsetzung bereits bekannter Umstände. Unterfinanzierung ist an Hochschulen schon lange Programm. Um diese auszugleichen, beuten die Hochschulen dann die eigenen Student*innen aus. Obwohl Studentische Beschäftigte die größte Beschäftigungsgruppe an der TU Darmstadt stellen und ohne uns der Uni betrieb schlichtweg nicht möglich wäre. Sei es Forschung, Verwaltung oder Lehre. Bekommen wir mit einem Gehalt von 12,20 eine Bezahlung knapp über Mindestlohn. Weiterhin hat das Land Hessen uns gesetzlich von jeglicher Personalvertretung ausgeschlossen. Auch hier tragen also Studierende die Konsequenzen einer fehlgeleiteten Finanzpolitik. Deswegen wird es höchste Zeit, diese riesige Gruppe an Beschäftigten zu tarifieren. Es ist höchste Zeit auch für die TU Darmstadt Verantwortung zu übernehmen.

16.11.2022