„Machen Sie es wie die Hummel“

Aktion der GALIDA gegen „Motivationstraining“

Das Jobcenter Darmstadt hat sich für seine Kunden, also für Hartz IV-Bezieher_innen, etwas Neues einfallen lassen. Menschen ab einem Alter von fünfzig Jahren, „die es aus verschiedenen Gründen besonders schwer haben, wieder eine Tätigkeit auf dem ersten Arbeitsmarkt zu finden“, werden zu einem sogenannten „Motivationstraining“ verpflichtet. Diese Seminare, die sich über fünf Wochen hinziehen, sollen „auch Teilnehmer mit multiplen Vermittlungshemmnissen“ befähigen, „nach kurzer Zeit wieder in Arbeit zu gehen“, heißt es in der Beschreibung des Seminars.

Die 20.000 Euro, die das Jobcenter für dieses Seminar an den Motivationstrainer Thorge Lorenzen zahlt, sind für die Gewerkschaftliche Arbeitsloseninitiative Darmstadt (GALIDA) herausgeschmissenes Geld. GALIDA wirft,  Thorge Lorenzen vor, die Arbeitslosen mit „esoterischen Methoden“ für dumm zu verkaufen. Den "Best!Agers", wie das Jobcenter die älteren Arbeitslosen nennt, will Lorenzen „positives Denken“ vermitteln, ihnen „die Kraft des eigenen Gedankens“ darlegen. So bringe er immer wieder das Beispiel der Hummel, die nach physikalischen Gesetzen gar nicht fliegen könne, es aber seit Jahrtausenden trotzdem immer wieder mache.

Doch für die Vertreter_innen der GALIDA stimmt nicht nur das Beispiel mit der Hummel nicht; tatsächlich sei die einstmals aufgestellte These der Flugunfähigkeit längst widerlegt. Aus ihrer Sicht ist die Ursache der Arbeitslosigkeit vieler Menschen nicht mangelnde Motivation, sondern das Fehlen von Arbeitsplatzangeboten. Die Motivationskurse seien angesichts dieser Tatsache „teuer, kindisch und bevormundend“.

Am 29.8.2014 protestierten Mitglieder und Sympathisanten der GALIDA in einer spontanen Aktion vor dem Gebäude der Arbeitsagentur gegen diesen Motivationskurs, der zeitgleich in diesem Gebäude stattfand. Redner kritisierten die damit verbundene Geldverschwendung und gingen immer wieder satirisch auf das Beispiel der Hummel ein. Ein Aktivist war auch als Hummel verkleidet und demonstrierte, wie er durch fehlende Willenskraft nicht in der Lage war in die Luft emporzusteigen.
Weniger Sinn für Ironie bewies die Bundesanstalt für Arbeit, auf deren Gelände die Aktion stattfand. Sie alarmierte die Polizei, die gegen Ende der Veranstaltung eintraf und die Personalien von einigen Beteiligten aufnahm.

Im Folgenden dokumentieren wir eine Rede von Peter Hetzler von der Erwerbsloseninitiative Andere Wege in Bensheim, die er bei dieser Aktion hielt. Er stellt dabei heraus, dass es für Arbeitslose keineswegs motivierend sei, die Ursache hierfür in der individuellen Einstellung des Erwerbslosen zu suchen und die politischen und ökonomischen Rahmenbedingungen außer Acht zu lassen.

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„Motivieren statt sanktionieren“ heißt das Motto der Kurse des Berliner Motivationstrainers Thorge Lorenzen, der hier vom Jobcenter für teures Geld eingekauft wurde, aber wer sich von ihm nicht zwangsmotivieren lassen will, der wird vom Fallmanagement sanktioniert.

Mit positivem Denken, behauptet Lorenzen, könne man das Problem seiner Arbeitslosigkeit lösen. Die reale Situation auf dem Arbeitsmarkt spielt für ihn dabei keine Rolle. Er verweist auf seiner Website auf die Hummel, die angeblich nicht fliegen kann, weil sie im Verhältnis zu ihrem Körper zu kleine Flügel hat, es aber einfach trotzdem tut. Dieser Kneipenscherz aus den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts wurde von Wissenschaftlern der Universität Cambridge längst widerlegt – aber mit wissenschaftlichen Erkenntnisse hatten Esoteriker noch nie viel am Hut.
Positives Denken kann ja durchaus motivierend wirken. Es wird aber da reaktionär, wo
es zur Voraussetzung hat, menschenunwürdige Verhältnisse als normal zu akzeptieren. Es entpolitisiert, indem es die Verantwortung für ein Problem von der Politik auf das Individuum verlagert, und es entsolidarisiert, indem es vorgibt, man könne das Probleme mit guter Laune und starken Ellenbogen auch alleine lösen.

„Die Teilnehmer lernen Kraft Ihrer Gedanken ihr Selbstimage zu stärken und ihren eigenen Wert wieder zu erkennen“, sagt Lorenzen. Ach, ja? Wie, bitte, soll das denn gehen, mit der Stärkung des Selbstwerts, nach der 175. Ablehnung? Soll man sich jeden Morgen eine politische Situation positiv wegmeditieren, die darin besteht...

• dass Deutschland durch die Harzt IV-Gesetze zum größten Niedriglohnland in Westeuropa geworden ist?

• dass heute jeder vierte Arbeitsplatz im prekären Bereich (Zeitarbeit, Praktika, Mini-Jobs, Aufstocker, befristete Arbeitsverträge) liegt?

• dass Hartz IV-Bezieher im ersten halben Jahr einer Neuanstellung vom Mindestlohn ausgenommen sind, wodurch sie weiterhin zu Niedriglöhnen schuften müssen, um am Ende des Halbjahres achselzuckend gegen den nächsten Erwerbslosen ausgetauscht zu werden?

Was uns die Politik mit der Ausnahmereglung beim Mindestlohn sagt ist: Leute wie ihr sollten froh sein, überhaupt noch einen Job zu bekommen. Also nehmt die paar Cent, auch wenn sie nicht zum Leben reichen, und freut euch, dass ihr überhaupt Arbeit habt. Soll man sich solche Entwürdigungen jeden Morgen wegmeditieren?

Motivationstraining ist in Zusammenhang mit Hartz IV nichts weiter als Gehirnwäsche, die dazu führt, den Erwerbslosen angesichts der Unmöglichkeit, einen akzeptablen Job finden zu können, immer stärker an sich selbst zweifeln zu lassen. Das ist prima, denn wer den Fehler nur noch bei sich selber sucht, kritisiert niemand anderen mehr und genau das ist der Sinn einer solchen Maßnahme.

Wir wollen uns aber nicht dazu motivieren lassen, noch über den letzten Drecksjob erfreut zu sein.

Wir wollen uns auch nicht dazu motivieren lassen, uns mit anderen Kollegen einen Konkurrenzkampf um immer niedrigere Löhne zu liefern.

Und wir wollen uns erst recht nicht dazu motivieren lassen, eine Politik zu akzeptieren, die die unproduktiven Teile der Bevölkerung zunehmend von der gesellschaftlichen Teilnahme ausgrenzt.

Wir finden es viel motivierender, Menschen zu sehen, die sich gegen die entwürdigende und entmündigende Hartz IV-Politik zu Wehr setzen und den Widerstand dagegen auf die Beine stellen. Deshalb sind wir heute hier.

Andere Wege – Erwerbsloseninitiative Bergstraße, 29.8.2014

Reinhard Raika
02.09.2014