Hindenburgstraße wird in Fritz-Bauer-Straße umbenannt

Jahrelanger Protest endlich erfolgreich

Lange ließen die politisch Verantwortlichen in Darmstadt den Namen Hindenburg für eine wichtige Straße in Darmstadt unverändert stehen. Die Stadtverordnetenfraktion der Linken beantragte bereits 2006 die Umbenennung dieser Straße, auch die Jusos schlossen sich später der Forderung an. Das Bündnis gegen Rechts Darmstadt wendet sich bereits seit Jahren mit Aktionen gegen die Namensgebung der Hindenburgstraße (s. siehsmaso: Hindenburgstraße umbenennen! - www.politnetz-darmstadt.de/node/28856 ; Symbolische Umbenennung der Hindenburgstraße - www.politnetz-darmstadt.de/node/24147). Die Begründung war klar und einfach: Hindenburg hatte am 30.1.1933 Hitler zum Reichskanzler ernannt und vorher immer wieder die Dolchstoßlegende verbreitet.

Das Bündnis gegen Rechts machte den Vorschlag, die Straße nach Halit Yozgat zu benennen, das neunte Opfer der nationalsozialistischen Terrorzelle NSU in Kassel. Nach diesen endlos langen Auseinandersetzungen wird die ehemalige Hindenburgstraße nun endlich umbenannt, nach Fritz Bauer, einem Hessischen Generalstaatsanwalt, der die Auschwitz-Prozesse in Gang setzte.

Die DFG/VK (Deutsche Friedensgesellschaft / Vereinigte Kriegsdienstgegner*innen) Darmstadt hat auf ihrer Homepage folgenden Text zu Fritz Bauer verfasst:

 

Leben und Wirken von Fritz Bauer

Der am 16. Juli 1903 in Stuttgart geborene Bauer, Sohn liberal-jüdischer Eltern, trat 1920 der Sozialdemokratischen Partei bei und studierte von 1921 bis 1928 Rechts- und Wirtschaftswissenschaften in Heidelberg, München und Tübingen. 1927 legte er an der Universität Heidelberg seine Dissertation mit dem Thema "Die rechtliche Struktur der Truste - ein Beitrag zur Organisation der wirtschaftlichen Zusammenschlüsse in Deutschland unter vergleichender Heranziehung der Trustformen in den Vereinigten Staaten von Amerika und Rußland" vor. Im Februar 1928 legte er die große Staatsprüfung ab und wurde 1930 jüngster Amtsrichter der Weimarer Republik. Er war Mitgründer des Republikanischen Richterbundes in Württemberg.

1933 wurde er aus dem Justizdienst entlassen und für acht Monate im KZ Heuberg interniert. 1936 emigrierte Bauer nach Dänemark. Die dänische Polizei verdächtigte ihn homosexueller Kontakte, observierte und verhörte ihn diesbezüglich. Nach der Besetzung Dänemarks 1940 tauchte er nach kurzen Internierungen unter und lebte in der Illegalität.

1943 heiratete Bauer in Kopenhagen die dänische Kindergärtnerin Anna Maria Petersen.

Um den Deportationen der in Dänemark lebenden Juden durch die Nationalsozialisten zu entgehen, floh Bauer im Oktober 1943 nach Schweden und arbeitete für verschiedene politische Gruppen. 1944/45 gründete Bauer in Stockholm zusammen mit dem späteren Bundeskanzler Willy Brandt die Zeitschrift "Sozialistische Tribüne".

Nach Kriegsende geht Bauer zunächst wieder nach Dänemark, 1949 nach Braunschweig und wird dort Landgerichtsdirektor und 1950 Generalstaatsanwalt. Dort betreibt er 1952 einen Prozess gegen den rechtsextremen Generalmajor a.D. Otto Ernst Remer. Dieser ist wegen übler Nachrede angeklagt, weil er die Hitler-Attentäter des 20. Juli 1944 um Claus Schenk Graf von Stauffenberg als "Hochverräter" bezeichnet hatte. Bauer erreicht eine Verurteilung zu einer Haftstrafe.

1956 wurde Bauer zum hessischen Generalstaatsanwalt in Frankfurt am Main ernannt, wo er sich unermüdlich für die juristische Aufarbeitung von NS-Verbrechen einsetzte. Durch einen Hinweis zum Aufenthaltsort Adolf Eichmanns an den Leiter der Israel-Mission in Köln sorgte er für dessen Ergreifung in Argentinien - wozu die Bundesregierung offenbar nicht in der Lage oder Willens war.

Von 1963 bis 1965 fand der durch Bauer in Gang gebrachte erste Frankfurter Auschwitzprozess mit 22 Angeklagten statt. Die meisten Angeklagten wurden zu Haftstrafen verurteilt. Darunter befand sich auch der aus Darmstadt stammende Hans Stark, der wegen gemeinschaftlichen Mordes in 44 Fällen an mindestens 300 Menschen zu zehn Jahren Jugendstrafe verurteilt wurde.

Eine 1965 durch Bauer eröffnete Voruntersuchung für einen weiteren Prozess gegen NS-Juristen, die „Euthanasie“-Morde ermöglichten, fand durch Bauers Tod im Juli 1968 nicht statt.

Bezeichnend für die politische Einstellung des Justizapparates der 1960er Jahre ist die Fritz Bauer zugeschriebene Äußerung: "Wenn ich mein Büro verlasse, betrete ich feindliches Ausland".

Nach Fritz Bauer wurde das 1995 gegründete "Fritz Bauer Institut" in Frankfurt benannt, ein Studien- und Dokumentationszentrum zur Geschichte und Wirkung des Holocausts. Nach ihm sind inzwischen Straßen und Preise benannt.

In Darmstadt erinnert an ihn das Fritz-Bauer-Haus der JVA Darmstadt-Eberstadt, in dem auch seit August 2018 eine sogenannte Abschiebungshafteinrichtung für ausreisepflichtige Ausländer angegliedert ist. Menschenrechtsgruppen vermuten, dass sich Bauer im "Grabe umdrehen würde", wüsste er davon.

Fritz Bauer wurde im November 2022 durch den hessischen CDU-Ministerpräsidenten postum mit der höchsten Würdigung, die Hessen zu vergeben hat, der Wilhelm-Leuschner-Medaille ausgezeichnet. Diese Auszeichnung erfordert zurückzuschauen, wie CDU und FDP Fritz Bauer 1963 drangsalierten und zum Beispiel seine Suspendierung forderten (siehe Abbildung). Die Debatte hierzu lässt sich im Stenographischen Protokoll des Hessischen Landtags, V. Wahlperiode III. Abteilung, Bd. 1, S. 272-295 nachlesen.

Lexikon der DFG-VK Darmstadt "Von Adelung bis Zwangsarbeit - Stichworte zu Militär und Nationalsozialismus in Darmstadt"  https://dfg-vk-darmstadt.de/Lexikon_Auflage_2/FritzBauerStrasse.htm

 

Anhang: Antrag der CDU im Hessischen Landtag vom 12. März 1963 (s.u. Dokument)

„Der Landtag wolle beschließen: Die Landesregierung wird ersucht, den amtierenden Generalstaatsanwalt Dr. Fritz Bauer bis zur Klärung der gegen ihn erhobenen schweren Vorwürfe vom Dienst zu suspendieren.“ Nach der Ansicht der Hessischen CDU habe Fritz Bauer im Ausland schlecht über Deutschland geredet. „CDU-Redner haben ihm perfiderweise sogar seinen Status als NS-Verfolgter und Emigrant zum Vorwurf gemacht, weil er dadurch befangen und unsachlich sei. Als ob nur die, die während des Nationalsozialismus in Deutschland waren und sich mitschuldig gemacht haben, sachlich sein könnten“ (FR vom 30.11.2022).

DFG/VK Darmstadt /Redaktion
10.12.2022